Duisburg-Marxloh. . Der Leiter des Sozialpastoralen Zentrums Petershof sieht keinen Grund für Entwarnung. Die soziale Schieflage wird immer größer. Ein Gespräch.
Beim Treffen kurz vor den Weihnachtsfeiertagen ist Pater Oliver herzlich und aufmerksam, wie er es im persönlichen Gespräch stets zu sein pflegt. Jedenfalls so lange, wie das Gespräch relativ belanglose Themen betrifft, wie etwa das Picken der Petershof-Hühnchen an die Glastüre der Teeküche: „Ach was, du wusstest gar nicht, das wir Hühner haben?“
Ernst wird die Mine des gebürtigen Mülheimers, der dem Alt-Hamborner Zweig des Prämonstratenser-Ordens angehört, wenn es auf das eigentliche Thema geht: Eine Bilanz der Entwicklung der sozialen Situation in Marxloh 2018.
„Nein“, sagt Pater Oliver, „besser ist es nicht geworden, in Marxloh. Im Gegenteil beobachten wir hier eine deutliche Zunahme der sichtbaren Armut, der Straßenarmut im Stadtteil.“
Die gute Konjunktur hilft längst nicht allen
„Mit sichtbarer Armut“, sagt der Pater, meine er etwa die zahlreichen Obdachlosen und Alkoholkranken im Marxloher Ortszentrum und in den umliegenden Nebenstraßen. Während die Öffentlichkeit sich häufig ausschließlich an den Roma oder an türkischstämmigen Bulgaren abarbeite, sagt Pater Oliver, seien viele arbeitslose Polen nach Marxloh gekommen. Trotz der hervorragenden Konjunkturdaten aus dem östlichen Nachbarland seien sie hier, sagt Pater Oliver: „Und wie wir sehen, haben viele von denen, die hier sind, ein massives Alkoholproblem, das früher oder später mit Wohnungslosigkeit einher geht.“
Ebenso wie die Integrationssparte der Arbeiterwohlfahrt geht man im Petershof davon aus, dass es sich um mehrere hundert Menschen im Duisburger Norden handele, die von diesen Problemen betroffen seien. Und je schlechter es ihnen ginge, desto wahrscheinlicher sei es, dass sie in Marxloh landen würden.
Es gibt kein Konzept zum August-Bebel-Platz
„Die Zustände auf dem August-Bebel-Platz sind ja allgemein bekannt“, sagt Pater Oliver, „und wir sehen hier keinerlei wie auch immer geartetes Konzept, wie man die Situation seitens der öffentlichen Hand verbessern könnte.“
Im Petershof hätten es das Engagement des Handwerksmeisters Manfred Schornstein und eine großzügige Spende ermöglicht, einen Duschraum für die Obdachlosen zu schaffen, und Waschmaschinen zu kaufen, in denen sie ihre Kleidung reinigen könnten: „Natürlich freuen wir uns darüber, dass wir jetzt die Möglichkeit anbieten können“, sagt Pater Oliver, „noch viel mehr würde ich mich aber freuen, wenn ich den Petershof in fünf Jahren schließen könnte, weil die Probleme dann nicht mehr existieren“, sagt er und schüttelt den Kopf, „aber so wie es aussieht, wird das nicht passieren.“
Ein Dank an die Ehrenamtlichen im Petershof
Er beobachte nach wie vor, dass es Probleme bei der Beschulung von Kindern gebe, dass alleinerziehende Mütter mit und ohne Migrationshintergrund in Marxloh größte Gefahr liefen, auf der Straße zu landen. Für Marxlohs Obdachlose, sagt er beim Gespräch Mitte Dezember, werde er Heiligabend nach der Christmette mit einem Bollerwagen Essen verteilen (wir berichteten). Da sei er ebenso wie bei vielen anderen Aktionen auf Spenden angewiesen: „Ich bin sehr dankbar, dass es Menschen gibt, die uns treu unterstützen, vielen Dank“, sagt er. Auch den Ehrenamtlichen im Petershof gebühre großer Dank für ihr Engagement: „Die müssen sich jetzt auch mal ausruhen, deswegen schließen wir bis zum Dreikönigstag.“
Wünsche für 2019 will er nicht äußern. Ebenso wenig Ratschläge geben,wer was in Marxloh besser machen müsse: „Ich will mich nicht als der Besserwisser gerieren.“ Einen guten Rutsch ins neue Jahr, den wünsche er natürlich allen Marxlohern und Duisburgern.
>>> Freundschaft zu Sigmar Gabriel trägt Früchte <<<
Wie sehr gesellschaftliche Diskussionen heutzutage zugespitzt werden, das merkt gerade eine spezielle Gruppe junger Leute in Marxloh, um die sich Pater Oliver seit Jahren besonders intensiv kümmert.
Während weite Teile der Öffentlichkeit im Ruhrgebiet die jungen Männer aus libanesischen Familien per se für kriminell halten – zumindest lassen zahlreiche Einlassungen in Medien und Foren, in Leserbriefen und -anrufen darauf schließen – geht Pater Oliver einen anderen Weg. Seit Jahren bietet der Pater jungen Männern aus sogenannten „Clan-Familien“ Ausbildungsplätze an: „Von den zwölf libanesischen Auszubildenden, die ich hatte, haben neunzig Prozent die kaufmännische Ausbildung erfolgreich abgeschlossen“, sagt Pater Oliver.
Probleme würden unter anderem dann auftreten, betonte der Pater bereits in früheren Gesprächen, wenn seine Azubis, trotz guter Arbeit und eines gesetzeskonformen Verhaltens, im Fokus der Sicherheitskräfte blieben: „Da haben wir leider sehr schlechte Erfahrungen gemacht, dass die Jungs dann die Flinte ins Korn werfen und sagen: Mir gibt man ja sowieso keine Chance.“
Umso positiver empfindet Pater Oliver die Tatsache, dass er in seinem Ringen um eine Integration der jungen Libanesen einen Mitstreiter gefunden hat. Sigmar Gabriel, ehemaliger SPD-Vorsitzender und Vizekanzler. Die Männer verbindet seit 2015 eine belastbare, nachhaltige Fernbeziehung. Im Sommer 2015 war Gabriel – damals Vizekanzler und mächtigster Mann Deutschlands – im Petershof zu Gast. Der damalige SPD-Boss versprach, Pater Oliver in seiner Arbeit zu unterstützen. Und Gabriel hält Wort bis heute.
Rund 200 libanesische Jugendliche und junge Männer gibt es in Marxloh. Zehn von ihnen sollen bald eine Ausbildung bei der Deutschen Bahn beginnen: „Die werden jetzt Lokführer“, sagt Pater Oliver begeistert, „und das verdanken wir auch dem Engagement von Sigmar Gabriel.“ Langsam, sagt Pater Oliver, würde auch in anderen Teilen der Gesellschaft ein Umdenken stattfinden: „Ich rate schon lange dazu, den jungen Kerlen Chancen zu geben. Gut, dass andere es jetzt gleich tun.“