Duisburg-Nord. . Der Leitfaden für die Jugendarbeit sagt seit Jahren: Hier darf nicht gespart werden. Die Realität sieht anders aus. Ein Insider schlägt Alarm.
„Wir bieten Raum für Kids. Wir fangen eine Menge auf. Wir sind die Zeit-Haber.“ Besser als mit diesen Worten der Sozialpädagogin Susanne Reitemeier-Lohaus lässt sich die Arbeit der vielen Duisburger Jugendzentren kaum beschreiben. Gerade im sozial schwächeren Norden leisten sie wichtige Integrations- und Präventionsarbeit. Sie sorgen dafür, dass die Jugendlichen Orientierung und Halt in der Gesellschaft finden. Dass sie nicht „abrutschen“, sich nicht radikalisieren. Doch wie an so vielen Stellen in Duisburg fehlt es auch in der Jugendarbeit massiv an Geld.
Offen sagen möchte das niemand gern. Aus Kreisen des Jugendamtes aber werden Klagen laut. Ein Insider warnt: „Natürlich fehlt es überall. Plakativ gesprochen: Wir versuchen, die städtischen und die Einrichtungen der freien Träger gerade eben so am kac*en zu halten.“ Die Person, die hier Klartext spricht, ist mit der Situation gut vertraut. Ihren Namen aber möchte sie nicht in der Zeitung lesen.
Klare Handlungsempfehlung
Sechs von insgesamt 17 städtischen Jugendzentren befinden sich im Norden. Hinzu kommen mehrere Einrichtungen in freier Trägerschaft. Wie dringend notwendig ihre Arbeit ist, formuliert schon der „Kinder- und Jugendförderplan 2014-2019“ der Stadt. Ein dickes Papier mit Handlungsempfehlungen für die Politik. Der Plan nennt zwei große Problemfelder, die gerade im Duisburger Norden auf der Tagesordnung stehen.
Das ist zum einen der „Zuzug von Neu-EU-Bürgern, der sich zurzeit auf 5340 Bulgaren und 4948 Rumänen beläuft“. Der Anteil der Sieben- bis 18-Jährigen, die in die Gesellschaft integriert werden müssen, betrage mehr als 1900 Personen, heißt es in dem Papier.
Warnung vor radikal-islamistischen Salafisten
Zudem warnt der Kinder- und Jugendförderplan vor radikal-islamistischen Salafisten: „Hier gilt es, geeignete Strategien zu entwickeln, um Jugendliche vor dem Abdriften in terroristische Strukturen zu bewahren.“ Schon das Vorwort des Papiers schließt mit einer deutlichen Handlungsempfehlung:
„Um diesen Anforderungen gerecht werden zu können und neuen Herausforderungen und Problemen angemessen begegnen zu können, darf man trotz der äußerst angespannten Finanzsituation der Stadt Duisburg nicht an Investitionen für präventive Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sparen – denn dies sind Investitionen für die Zukunft.“
Gewichtige Worte, unterzeichnet von Dezernent Thomas Krützberg und Holger Pethke, dem damaligen Leiter des Jugendamtes. Doch wie sieht es mit einer konsequenten Umsetzung aus?
Nüchterne Realität in Duisburg
Ein Besuch an der Kalthoffstraße 73 in Obermarxloh: An einem Nachmittag unter der Woche tummeln sich um die 60 Kinder und Jugendlichen in dem eingeschossigen Flachdach-Bau. Hinzu kommen viele junge Menschen, die speziell für die angebotenen Arbeitsgemeinschaften vorbeischauen. „Die Zitrone“, wie das Jugendzentrum im Stadtteil liebevoll genannt wird, ist für die jungen Menschen ein offener Ort, eine Art Wohnzimmer – mit Sozialarbeitern, die von vielen Kindern als „Ersatzeltern“ wertgeschätzt werden.
Susanne Reitemeier-Lohaus ist eine von nur zwei hauptamtlich Tätigen, die das Jugendzentrum als Duo leiten. Wird jemand krank, dann wird es oftmals eng. Praktikanten und Studenten, helfen aus. Sie sind aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. „Das, was unsere Kernarbeit ist, ist Beziehungsarbeit“, sagt Reitemeier-Lohaus. Die Kinder und Jugendlichen brauchen feste Ansprechpartner, denen sie sich mit ihren Fragen und Nöten anvertrauen können. „Sie kommen zu uns mit allen Fragen rund um Liebe, Sexualität – aber auch Gewalt“, sagt Reitemeier-Lohaus.
Kinder und Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen
Viele Kinder und Jugendliche, die die Zitrone besuchen, kommen aus schwierigen familiären Verhältnissen. „Wir haben auch Jugendliche, die durchaus auch schon mal einen halben Fuß über die Grenze zur Illegalität gesetzt haben. Aber häufig können wir das noch auffangen.“ Wichtig sei es vor allem die Demokratieförderung: „Wir haben Radikale in allen Ecken“, sagt die Jugendzentrum-Leiterin. Projekte wie die simulierte U18-Bundestagswahl haben für sie einen hohen Stellenwert.
Viele andere Angebote, die der Radikalisierung entgegenwirken sollen, sind aber nur über Drittmittel finanzierbar. „Meistens muss aber auch dabei ein gewisser Eigenanteil übernommen werden.“ Und selbst dabei hakt es schon, denn der ist oftmals nur durch Spenden finanzierbar. Susanne Reitemeier-Lohaus dankt den Geschäftsleuten, die viele Projekte unterstützen. Denn auch sie weiß: Würden solche Beiträge wegfallen, wäre nur noch ein sehr geringer Bruchteil der Jugendarbeit überhaupt möglich.
Jugendarbeit als freiwillige Leistung
Das Problem: Kinder- und Jugendarbeit wird häufig als „freiwillige Leistung“ einer Stadt angesehen. Bei finanzschwachen Kommunen wie Duisburg wütet dann leicht der Rotstift. Schon 2013 warnte der Kinder- und Jugendförderplan, dass das eine „Fehlbewertung“ sei, die aufgeschlossen werden müsse.
Im Haushaltsplan für 2018, der erst im November beschlossen wurde, aber sieht die Zukunft finanziell weiterhin düster aus. Das „Produkt 060201: Städtische Kinder- und Jugendarbeit“ kostete die Stadt 2016 noch 9,97 Millionen Euro. Für 2018 ist nur noch ein Betrag von 9,12 Millionen veranschlagt.
Für das „Produkt 06020: Zuschüsse für Kinder- und Jugendarbeit freier Träger“ waren es 2016 noch Ausgaben von 3,04 Millionen Euro unter dem Strich. 2018 sollen es nur noch 2,97 Millionen sein.