Neumühl. . Ein Duisburger Unternehmer verschenkte warme Winterkleidung an Bedürftige. Sie durften bei ihm wie echte Kunden „einkaufen“ – nur ohne Bezahlung.

Helmhards Blick schweift durch den Raum mit den vielen Kleiderstangen. Über Sakkos und Regenjacken hinweg zu den Wintermänteln. Der 68-Jährige streicht liebevoll mit der Hand über die Kleiderbügel. Irgendwie kann der Rentner sein Glück noch gar nicht so richtig fassen. Für einen Moment hält er inne. Dann greift er nach einer gefütterten ockerfarbenen Winterjacke. Er darf sich aussuchen was er möchte, haben sie gesagt. Drei Teile, einfach so, „für lau“. Für den Senior mit der mickrigen Rente ist das fast wie Weihnachten.

„So viele Menschen waren noch nie zeitgleich hier drin.“ Mit dem großen Andrang hätte Tobias Kierdorf nicht gerechnet: Fast 40 Menschen aus dem Ruhrgebiet sind in sein Geschäft an der Holtener Straße gekommen, um sich warm einkleiden zu können. Manche von ihnen haben schwere Schicksalsschläge erlebt, manche kämpfen gegen Suchtkrankheiten, andere gegen die Einsamkeit. Doch an Geld mangelt es ihnen fast allen. Ein Geschäft wie dieses, mit schicken,wenn auch reduzierten, Modestücken, würden sie sonst nie betreten. Es braucht ein paar Minuten, bis sich die Unsicherheit legt und sie freudig mit den ersten Kleidungsstücken in Richtung Umkleidekabine gehen.

Gutes tun – ganz ohne Worte

Tobias Kierdorf, der Inhaber des gleichnamigen Modehauses, das mehrere Filialen im ganzen Ruhrgebiet betriebt, will unbürokratisch helfen. Er ist einer von den oft so rar gewordenen Unternehmern, die auch dann Gutes tun, wenn kein Fotoapparat auf sie gerichtet ist. Die Presse hat er nicht eingeladen. Das waren die Vereine, deren Schützlinge Tobias Kierdorf heute beschenkt. Eigentlich mag er auch nicht viel sagen. Irgendwie fehlen ihm auch die Worte. „Krass“, murmelt er nur leise. „Schon krass, wie viele hier sind...“ Krass, wie groß die Not ist. Tobias Kierdorf schluckt. Dann geht er hinüber zu Rentner Helmhard und hilft ihm in die ockerfarbene Winterjacke.

Ein paar Kleiderständer weiter sucht Mario nach Oberteilen in der richtigen Größe. Mario war viele Jahre drogenabhängig. „Andere sagen immer, es lag an den falschen Freunden.“ Der 45-Jährige mustert die Hemden. „Bei mir war das anders. Ich war einfach nur neugierig.“ Den ersten Joint habe er mit elf Jahren geraucht. Einstiegsdroge. Heute hat er drei Therapien hinter sich. „Die brauchte ich auch“, sagt er frei heraus. Jetzt arbeite er ehrenamtlich bei „Aufwind“ mit. Der Mülheimer Verein, der Abhängigen warme Mahlzeiten und Gesprächsrunden anbietet, gab ihm Halt. Mario blickt positiv in die Zukunft: „Ich habe sehr viel Unterstützung gefunden und Leute, die mir den Rücken stärken.“ Und dank des Vereinsvorstands Stefan Jacobs, der mit Tobias Kierdorf befreundet ist, darf er jetzt die Hemden anprobieren und kostenlos mitnehmen.

Während Mario noch anprobiert, ist Helmhard bereits auf dem Weg zur Kasse. Dort verpackt eine Mitarbeiterin des Geschäfts die Kleidung. Helmhard ist glücklich. „Da freue ich mich sehr drüber“, der Rentner lächelt etwas verlegen, als er ohne bezahlen zu müssen die Jacke, das Oberteil und die Hose in Empfang nimmt.

Für andere werden die Kleidungsstücke sogar noch kostenlos geändert: Hosenbeine etwas gekürzt, Ärmel angepasst. „Das gehört zum Service“, hören sie nur. Und darüber freuen sie sich fast genauso: Sie wurden empfangen wie echte Kunden – ohne Kreditkarte.

>> Info: Im Einsatz für Arme und Suchtkranke

Zwei Vereine danken Geschäftsinhaber Tobias Kierdorf für seine großzügige Unterstützung.

Der Verein Z.I.E.L („Zurück in ein erfülltes Leben“) aus Essen hilft Menschen am Rande der Gesellschaft, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen konnten. Er organisiert kostenlose Theaterbesuche, kleine Ausflüge und mehr.

Der Verein Aufwind aus Mülheim gibt Suchtkranken eine Anlaufstelle. Die Ehrenamtlichen spenden warmes Essen und laden zu Gesprächskreisen ein.