Aldenrade. Ingo Stanelle hat sich darauf spezialisiert, in Projekten mitzuwirken, die Kindern Selbstwertgefühl, handwerkliche Erfahrungen und Rhythmusgefühl vermitteln
Mittlerweile gibt es in fast jeder Stadt im Ruhrgebiet mindestens einen Stadtteil „mit besonderem Erneuerungsbedarf“. Auf diese Stadtteile sind mehrere Förderprogramme der öffentlichen Hand zugeschnitten. Vor allem Kinder aus schwierigen Verhältnissen sollen dabei unterstützt werden, einmal aus dem Teufelskreis aus Armut, fehlender Bildung und Arbeitslosigkeit auszubrechen. Ingo Stanelle hat sich darauf spezialisiert, an solchen Projekten mitzuarbeiten.
Er baut mit Kindern Percussion-Instrumente und studiert mit ihnen darauf das Trommeln ein. Denn die entsprechenden Projekte haben immer auch das Ziel, das Selbstvertrauen der Kinder zu stärken, ihre Fähigkeiten zu erweitern. Und das in einem Rahmen, der mit Schule mal nichts zu tun hat.
Seit drei Jahren lebt der gebürtige Oberhausener in Aldenrade. Stanelle stammt selbst aus einer Arbeiterfamilie und weiß, wie steinig der Weg zum beruflichen Erfolg ist. Er hat an der Uni Duisburg Germanistik, Politik und Philosophie studiert.
„Aber ich habe dabei immer viel Musik gemacht, spiele Alt-Saxophon und Bassklarinette“, erzählt der Wahl-Aldenrader. Am Ende erwiesen sich die damit geschaffenen Grundlagen als aussichtsreicher als der akademische Abschluss.
„Bei einem Jazz-Gastspiel in Oberhausen bin ich vor 20 Jahren von dem Fotografen Jörg Briese angesprochen worden, ob ich mir nicht vorstellen könnte, mit Kindern auf selbstgebauten Instrumenten zu spielen“, fährt Stanelle fort. Im Kiebitz in Marxloh fand gemeinsam mit Briese der erste Workshop statt. Was anfangs als Nebenverdienst gedacht war, baute er nach und nach zum Beruf aus.
Jahrelang fungierte die Yehudi-Menuhin-Stiftung als Geldgeber. „Entsprechende Stunden waren damals in den Lehrplänen verankert“, sagt der 43-Jährige. Mit handwerklichem Geschick wurde Stanelle zum Spezialisten für Musik und Instrumentenbau. „Es gibt ja Tänzer, Trommler und Skulpturenbauer, aber meine Kombination gibt es so nicht“, sagt er.
Natürlich baut er keine Geigen oder Gitarren. Aber zum Beispiel das Didgeridoo, das Blasinstrument der australischen Ureinwohner, das aus Eukalpytusholz besteht. Meist sind es Idiophone – Selbstklinger – , deren Bauteile er in seiner Werkstatt vorbearbeitet. Gefragt sind zur Zeit die verschieden großen Cajóns, die viereckigen Holztrommeln, auf deren größeren Varianten der Trommler sitzt. Kleinere Ableger davon hat Ingo Stanelle im Frühjahr mit Schülern des Offenen Ganztags an einer Oberhausener Grundschule gebaut und die Gruppe dann zu einem Trommel-Orchester formiert.
Alle Werkzeuge und Materialien, die zum Zusammenbau nötig sind, transportiert er zum Veranstaltungsort. Die Bandbreite reicht dabei von der Schraubzwinge bis zum Pflegeöl, mit dem das Holzfurnier am Ende behandelt wird, um es vor Schmutz zu schützen. Denn die Selbstklinger sind in jedem Fall kleine Schmuckstücke. Ein Trommel-Mechanismus im Innern verhilft ihnen zum nötigen schnarrenden Klang. Wie man die Selbstklinger baut und spielt, hat Stanelle bei dem heute in London lebenden Percussionisten Moussa Camara gelernt.
„Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen liegt mir“, sagt der Autodidakt. Mit seinen Workshops wird er von Jugendzentren und Schulen gebucht, gibt sie auch für Erwachsene. Mit Oberstufenschülern wiederum veranstaltet er Workshops zur digitalen Klangbearbeitung mittels Computer.
„Heute hat ja kaum ein Kind mehr einen Werkkasten“, sagt er, die haptische Erfahrung, der Einsatz des Tastsinns, fehle zunehmend. Auch den Kindern von heute mache das aber Spaß. Und zum handwerklichen Erfolgserlebnis käme dann noch das gewonnene Gespür für Rhythmus und das Gemeinschaftserlebnis des Konzert-Auftritts hinzu. Denn bei Schulprojekten findet am Ende meist immer eine Aufführung statt.