Duisburg-Marxloh. . An Hagedorn- und Henriettenstraße wurden Familien auf die Straße gesetzt. Kommune sagt, die Aktionen richteten sich gegen Problemhaus-Besitzer.
In den vergangenen zehn Tagen hat die „Task-Force für Problemimmobilien“ der Stadt Duisburg in Marxloh mindestens zwei Häuser geräumt, bei wenigstens zwei weiteren Immobilien kam es zu Einsätzen des Sonderaußendienstes des Ordnungsamtes und der Polizei.
Zimperlich gingen die Mitarbeiter von Ordnungsdezernentin Daniela Lesmeister und Ordnungsamtschef Reinhold Mettlen dabei wahrlich nicht vor, was auch Tonbandaufnahmen der Räumungen nahe legen, die der Redaktion vorgelegt wurden.
Eine von vielen betroffenen Familien: Die Familie von Lucia M. (Name der Redaktion bekannt), die an der Henriettenstraße wohnt – oder dies wenigstens versucht. Jener Lucia M., mit der sich Integrations-Staatssekretär Thorsten Klute nicht nur fotografieren ließ, als er im Sommer Marxloh besuchte. Klute sprach damals ausführlich mit der Frau, während ihr Mann nebenan die Straße fegte.
„Ein netter junger Mann“, sagt Lucia M., als die Redaktion sie am Freitag in ihrer Wohnung besuchte, „der Herr Klute.“ Begeistert soll der oberste Integrationswächter des Landes gewesen sein, als die siebenfache Mutter ihm stolz erzählte, dass die fünf Kinder, die noch zu Hause wohnen, allesamt eine deutsche Schule besuchen und fleißig Deutsch lernen.
Was Klute wohl sagen würde, wenn er gesehen hätte, wie Lucia und ihre Kinder in der vergangenen Woche gegen 23 Uhr von Ordnungshütern aus ihrer Wohnung an der Henriettenstraße befördert wurden. „Gezerrt und getragen wurden wir“, sagt die Mutter.
Ohne die Chance, Wertsachen oder Ausweispapieren einzupacken. Nicht einmal etwas Warmes anziehen hätte sie ihren Kindern anziehen können. Ihr Sohn, dreimal am Fuß operiert, wurde von der Couch gehoben und in Socken auf die Straße gestellt.
Ähnlich wie in Ungarn
Ein Kommunalpolitiker, ein Angestellter der Awo und eine für Roma engagierte Bürgerin sahen, was da passierte und intervenierten lautstark. „Danach durften wir wieder rein“, sagt Lucia, die den ganzen Vorfall erstaunlich abgeklärt sieht: „In Spanien und Italien ist uns das auch schon passiert“, sagt sie. In Ungarn passiere das auch regelmäßig, sagte ihr Nachbar, der sich zu Gespräch gesellt hatte. Jetzt eben in Deutschland, in Duisburg.
Andere Roma-Familien hatten nicht so viel Glück wie die Familie von Lucia. An der Hagedornstraße wurden am vergangenen Mittwochmorgen zwei Häuser geräumt.
Auch dort, sagen Augenzeugen, seien die Familien von Räumkommandos lautstark unter Hochdruck aus den Räumlichkeiten getrieben worden. Nach dem Ende der Aktion ließ die Stadt die Türen und Kellerfenster verschließen. Viele Betroffene ließen Geld und Ausweispapiere in den Wohnungen zurück.
Stadt: Notwendiges Handeln zum Schutz der Zuwanderer
In der Tat habe es in der letzten Zeit verschiedene Einsätze der Task Force im Stadtteil Marxloh gegeben, schreibt die Stadt Duisburg auf Anfrage der Redaktion.
Die Arbeit der „Task-Force“ beruhe darauf, dass immer mehr Immobilieneigentümer teilweise mit sehr großen Mängeln behafteten Wohnraum zu überhöhten Mieten an Zuwanderer aus Südost-Europa vermieteten: „Das hat ein Eingreifen der Verwaltung zum Schutz dieser Zuwanderer vor unzumutbaren Wohnverhältnissen notwendig gemacht“, schreibt das Pressereferat der Stadt.
„Das Wohnungsaufsichtsgesetz, das 2014 in Kraft trat, eröffnet den Gemeinden Möglichkeiten, im Interesse des Mieterschutzes und der Wohnraumerhaltung auf die Beseitigung von Missständen hinzuwirken“, heißt es weiter.
Im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens gebe es verschiedene Instrumente hierzu, etwa Instandsetzungsanordnungen, Bußgelder, Ersatzvornahmen, oder eine Unbewohnbarkeitserklärung: „Soziale Brennpunkte können durch ein Gesetz zum Schutz der Mieter allein allerdings nicht entschärft werden.“
Ein hoher Grad an Vermüllung und in Folge Schädlingsbefall
Die Stadt habe eine flexible Liste mit sogenannten Problemimmobilien, die immer aktualisiert werde: „Bei den Überprüfungen werden sehr häufig mangelhafte Elektronik, bauliche Mängel, Feuchtigkeit, Schimmelbildung, Glasbruch, mangelhafte sanitäre Anlagen, beschädigte Haustüren, defekte oder nicht vorhandene Klingelanlagen, Briefkastenanlagen vorgefunden.“
Hinzu käme häufig ein hoher Grad an Vermüllung und in der Folge Schädlingsbefall. Auch der Brandschutz sei oft zu bemängeln: „Kein zweiter Rettungsweg, Brandlasten in den Fluren, keine feuerfesten Türen.“
Für eine neue Bleibe der Mieter müsse die Stadt nicht sorgen: „Grundsätzlich müssen sich die Mieter – in der Regel EU-Bürger – selbstständig neue Wohnungen odder Unterkunftsmöglichkeiten bei Freunden oder Verwandten suchen.“
Drohe allerdings Obdachlosigkeit, handele die städtische Fachstelle für Wohnungsnotfälle des Amtes für Soziales und Wohnen: „Bei Bedarf erfolgt außerdem eine Betreuung durch den allgemeinen sozialen Dienst des Jugendamtes der Stadt.“
Schwarthans mahnt die Stadt zur Mäßigung
Viele der Männer, Mütter und Kinder, die in Marxloh in den vergangenen Tagen nach Räumungsaktionen der Behörden de facto auf der Straße landeten, kennt Karl-August Schwarthans, Geschäftsführer der Awo-Integrations gGmbH persönlich. Seine Mitarbeiter haben die Betroffenen in den vergangenen Jahren in Integrationsfragen beraten.
Über die Art und Weise, wie die Stadt Duisburg in den vergangenen Tagen Häuser und Wohnungen geräumt hat, schüttelt Schwarthans den Kopf: „Ich habe nicht den Eindruck, dass wir uns da derzeit immer an Gesetze halten.“
Vielmehr werde derzeit von der Stadt eine Verdrängungsstrategie gefahren: „Um die Neubürger zu vertreiben.“
Seines Wissens nach habe die „Task-Force für Problemimmobilien“ sich zum Ziel gesetzt, acht Häuser im Monat abzuarbeiten: „Wenn diese Häuser denn unbewohnbar sein sollten – ok. Aber dann muss ich doch konstruktive Hilfsangebote an die Bewohner machen.“
Es gebe ihm sehr zu denken, dass es sogar im Netzwerk Integration Befürworter dieses Vorgehens gebe: „Gemessen an diesem Vorgehen ist alles, was in Duisburg an Antidiskriminierungsarbeit geleistet wurde, zu einer Lachnummer verkommen.“
Viktor Orban lässt grüßen
Als Anfang der 1950er Jahre zwei Stasi-Männer meinen Großvater in einem Dorf vor den Toren Berlins abholten, um ihn für fast zehn Jahre in einen sibirischen Gulag zu verfrachten, da hatten sie zumindest Anstand: „Zieh was Warmes an. Könnte länger dauern.“
Dieser Anstand fehlte einigen Mitarbeitern der städtischen Task-Force wohl, als sie in den vergangenen Tagen Roma-Familien aus deren Wohnungen trieben. Wie kann man Kinder in einer Herbstnacht ohne Socken und warme Kleidung aus einer Wohnung schleppen?
Waren das Befehlsempfänger, die willfährig ihr Gehirn ausschalten? Oder waren die Leute schlicht überfordert? Letzteres wäre zu hoffen, denn vor Erstgenannten haben Menschen wie eben jener Opa mich immer gewarnt. Seine Generation wusste, wovon sie sprach. Da waren Erinnerungen an Krieg und Willkür noch frisch.
Ist sie bei jenen, die heute etwas zu sagen haben, nicht mehr. Ein OB Link, der Antipathie gegen Roma öffentlich herausposaunt. Und wenn sich Frau Lesmeister bislang ganz doll für Kinder engagiert hat, dann hat sie hier gezeigt, dass sie auch anders kann.
Dass dazu speziell die SPD-Politiker in dieser Stadt mucksmäuschenmäßig schweigen, ist eine Schande für eine Partei, die mal sehr gut wusste, was Willkür und Vertreibung bedeuten.
Viktor Orban lässt grüßen. Der rechtfertigte 2014 die Vertreibung von 200 Roma-Familien aus der Stadt Miskolc mit Stadtverschönerung. Er erklärte die Roma-Häuser kurzerhand für unbewohnbar. Problemimmobilien eben.