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Neue Dokumente nähren den Verdacht, dass bei den Vorbereitungen für das Ereignis in Duisburg Bestimmungen keine Rolle spielten. Der Wille von Veranstalter und Politik war als Warnungen stärker.

„Die Durchführung der Loveparade... steht unter dem Vorbehalt, dass die Voraussetzungen, die für die Durchführung erforderlich sind und die sich aus Anlage 1 ergeben, gewährleistet sind.“ So haben es 2007 die fünf Ruhrgebietsstädte und Lopavent in der Rahmenvereinbarung, die dieser Zeitung vorliegt, formuliert. In jener Anlage 1 zu den allgemeinen Bestimmungen werden unter „Paradestrecke“ und „Abschlusskundgebung“ jeweils „ausreichende Entfluchtung und Ausweichflächen im Panikfall” aufgelistet.

Erstmals hat ein Verantwortlicher der Loveparade Fehler eingeräumt. „Ich hätte dringlicher auf die Probleme hinweisen müssen”, so Psychologe Carsten Walter im Interview mit dem „Spiegel”. Als Crowd-Manager sollte er die Besucherströme auf dem Gelände regulieren. Er habe im Vorfeld darauf hingewiesen, dass das Einlasssystem „sehr heikel” sei und man Ein- und Ausgang trennen solle.

„Definitiv“ kein Funkgerät

Mit einer anderen Aussage bringt er Polizei und NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) in Bedrängnis. Walter betont, dass beide Verbindungsbeamten, die mit ihm im Überwachungscontainer saßen, „definitiv” kein Funkgerät hatten. Damit widersprach er der Darstellung der Polizei im Landtag und Jäger. Der hatte gesagt, er werde es nicht zulassen, dass die Polizei als Sündenbock für die Fehler anderer herhalten muss.

Unter welchem Druck die Duisburger Verwaltung stand, belegen zwei Beispiele: So offenbart laut „Focus” ein Protokoll vom Oktober 2009, dass Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe betont habe, dass der damalige Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) „in der Vergangenheit bereits eine Aussage getroffen habe, dass die Loveparade in Duisburg stattfinden sollte”. Eine Absage könne daher „lediglich aus gravierenden Sicherheitsbedenken erfolgen”.

Veranstalter Lopavent schickte laut „Spiegel” Anwälte, um Druck zu machen. Diese meldeten sich am 19. Juli beim Bauamt und drängten auf Erteilung einer „Sondernutzungserlaubnis”. Die Juristen wiesen darauf hin, dass eine Absage immensen wirtschaftlichen, aber auch ideellen Schaden für die Veranstalter, die Metropole Ruhr und Duisburg habe.

Auf den letzten Drücker

Dass Lopavent erst auf den „letzten Drücker” Konzepte vorlegen konnte und Genehmigungen erhielt, ist kein Einzelfall. Nach Recherchen der WAZ-Mediengruppe konnte Lopavent auch 2008 in Dortmund zwei Tage vor der Loveparade keine straßenverkehrliche Genehmigung vorweisen. Das geht aus einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen hervor, in dem es heißt, dass Lopavent lediglich den Entwurf einer Erlaubnis vorlegen konnte. Lopavent wollte damals einem Händler den Getränkeverkauf während der Parade untersagen.

Auch auf Duisburgs Oberbürgermeister Sauerland wächst der Druck. So war nicht nur ein Gesprächsprotokoll vom 18. Juni als Kopie an das OB-Büro gegangen, sondern schon ein Brandbrief der Unteren Bauaufsicht vom 14. Juni. Sauerland wusste laut „Spiegel“ also detailliert vom Planungschaos. Bei der Pressekonferenz einen Tag nach der Katastrophe hatte er die Frage verneint, ob er Details der Planung kannte.

Spekulationen um Honorar für Schreckenberg

Neue Fragen wirft die Rolle von Stauforscher Prof. Michael Schreckenberg auf. Laut WDR-Informationen soll ihm für die Absegnung eines Fluchtwegekonzepts ein Honorar von 20 000 Euro zugesagt worden sein. Er habe keinen wirklichen Prüfauftrag erhalten und keine Rechnung gestellt, so Schreckenberg auf Nachfrage.