Duisburg. .
Die DJs der Loveparade in Duisburg haben nicht mehr viel gemein mit den Plattenjongleuren von einst. Heute sind sie elektrische Künstler. Der Franzose David Guetta ist der Popstar unter den DJs.
Wir schreiben das Jahr 1988. David Guetta ist gerade 20 und legt Depeche Mode und New Order in einem Pariser Schwulen-Club auf. Doch er sieht nur die Füße der Tanzenden durch einen schmalen Schlitz. Will er schauen, wie ein Lied ankommt, muss er raus aus seiner DJ-Kabine, eine Tür öffnen und hoch die Treppe zur Tanzfläche. Der Plattenaufleger ist 1988 noch ein Arbeiter, eine niedere Kaste. Doch Veränderung steht vor der Tür, die House-Musik klingelt an. Guetta reist nach London, und „dort sah ich das unglaublichste Ding. Der DJ stand auf einer Bühne, und die Leute haben ihn angebetet wie einen Gott. Da wusste ich, das ist es, was ich machen will“.
Zu diesem Zeitpunkt hat Guetta einen gewissen Ruf, aber er verdient wenig Geld, und keiner der Tanzenden dort draußen kennt sein Gesicht. Etwas mehr als zwei Jahrzehnte später, am Samstag in Duisburg, werden Hunderttausende ihm huldigen. Ihrem Vortänzer mit drei Nummer-eins-Hits unter eigenem Namen und weiteren als Produzent. „Als ich angefangen habe“, sagt Guetta in einem Interview, „ging es einfach darum, gute Musik zu spielen und den Leuten eine gute Zeit zu bereiten. Heute dreht es sich auch darum, wie viele Leute du zusammenbringen kannst. Wie im Rock-System.“
„DJs sind weltweit präsent“
DJs sind Stars. Kai Horstmann aus Essen ist maßgeblich daran beteiligt, sie zu solchen zu machen. Der 35-jährige Essener betreibt zwei Künstleragenturen und ist fast so lange im Geschäft wie David Guetta, den er ebenso vertritt wie Tiesto und Fedde Le Grand, die auch bei der Loveparade aufmarschieren. „Hinter den wirklich global funktionierenden Top-DJs steckt heutzutage eine richtige Maschinerie an Leuten, die weltweit extrem stark vernetzt sind“, erklärt Horstmann. Seine Leute sitzen in London, New York und Essen. Eine seiner Agenturen kümmert sich um das weltweite Management und Marketing, die zweite organisiert die Touren der Künstler. Und die touren ununterbrochen.
„Einige spielen bis zu 150 Auftritte im Jahr in über 70 Ländern auf dieser Welt und füllen Stadien mit über 60 000 Fans.“ Wir präzisieren: DJs sind nicht nur globale Stars, sie sind tatsächlich weltweit präsent. Weil der elektronische DJ mit seinem Laptop viel mobiler ist als, sagen wir, eine Band. David Guetta zum Beispiel teilt sich die Jahreszeiten „geografisch sinnvoll ein“: Der Sommer in Europa, der Herbst in Amerika und Australien, im Frühjahr Asien – der DJ, ein ewig um die Erde kreisender Tonabnehmer.
Neue Spiele
Aber natürlich gibt es ein Ziel. Noch vor zwei Jahren erklärte David Guetta vor seiner Amerikatour: „Ich versuche zu wiederholen, was ich in Europa getan habe: den Erfolg der DJ-Auftritte in Plattenverkäufe umzusetzen. Das ist eine Menge Arbeit, denn hier in Amerika werden DJs nicht als Künstler gesehen. Aber da werden wir hinkommen.“
Der Akzeptanz des DJs als Künstler liegt der Gedanke und die Empfindung zugrunde, dass diese Welt schon übervoll ist. Dass man nicht noch mehr neue Spielsachen braucht, sondern besser neue Spiele. Die Klangwelt als Spielmasse für Metamusik. Die Kunst hat diese Entwicklung schon lange hinter sich – vom Ready-made zu Andy Warhol: Wurden zunächst noch ganze Alltagsobjekte als Kunst aufgestellt, arrangierte Warhol Elemente der Alltagskultur zu etwas Bunterem. Waren die Bauklötze der ersten DJs noch ganze Platten, die sie zu einem Musikabend auftürmten, spielen die neuen Warhols mit Basslinien und Gesangshäppchen und Liedbruchteilen. Die Bausteine sind kleiner geworden, manchmal sind es nur einzelne Noten.
Und darüber wird der DJ fast automatisch zum Produzenten. Zu jemandem, der das Rohmaterial anderer Künstler arrangiert, damit spielt, neu zusammenbaut und so etwas Größeres schafft. „Madonna, Britney Spears, Justin Timberlake – eigentlich haben die meisten amerikanischen Popstars mittlerweile Produzenten, die aus der elektronischen Musik kommen“, sagt Horstmann. Einer wie Guetta dreht diesen Prozess auch mal um. Er startet mit einer Basslinie, endet mit einem Track – und sucht sich erst dann einen singenden Künstler. Moderne Liedermacher? „Viele der DJs, mit denen wir arbeiten“, sagt Horstmann, „haben eine klassische Musikausbildung.“
Megafon der Macht
Unter Marketinggesichtspunkten betrachtet, ist der DJ in einer günstigen Position, denn er sitzt ja am Megafon der Macht. Dort arbeitet er nicht nur am Künstlerstatus, sondern rührt auch an tiefere, animalische Emotionen. Von „Last night a DJ saved my life“ (1982) sind wir also gelandet bei „God is a DJ“ (1998). Und das erklärt vielleicht am ehesten den immensen Zulauf.
David Guetta etwa ist auch berühmt geworden mit seinen „F*** me I’m famous“-Partys. Weil er nicht nur die Musikauswahl trifft, sondern auch die Leute mischt. Seine Frau Cathy sorgt für den Glamour, David für die Partymeute. „Für mich ist das die wahre Magie des Nachtlebens“, sagt er. „Leute zusammenzubringen, die sich sonst nie begegnen würden. Junge, Talentierte, Arme und Reiche, Schwule und Heteros.“
„God is a DJ“ – das muss man vielleicht übersetzen mit „der Menschen-Jockey“. Oder hat sich die Party verselbstständigt? Ist der Mensch an den Reglern nur der Katalysator eines ganz natürlichen biochemischen Vorgangs? Feiert die Masse sich am Ende selbst? Dann müsste es zumindest am Samstag heißen: Pott is a DJ.