Düsseldorf/Duisburg. Mit vielen Unterbrechungen hat Freitag der Loveparade-Prozess begonnen. Der Start geriet zäh. Eine Stunde dauerte allein die Anklage-Verlesung.
Mehr als sieben Jahre ist es her, dass bei der Duisburger Loveparade 21 Menschen starben und mehr als 600 verletzt oder traumatisiert wurden. Seitdem quälen die Hinterbliebenen und Betroffenen viele Fragen. Wie konnte so ein Unglück geschehen? Wer ist für diese schwerwiegenden Fehler bei der Planung und Genehmigung verantwortlich? Wieso wurde die Einhaltung der Sicherheitsauflagen nicht überwacht?
Am Freitag hat der Prozess begonnen, der Antworten auf diese Fragen liefern soll. Der Beginn dieses Mammutverfahrens mit mehr als 150 Prozessbeteiligten war am Morgen etwas langatmig. Eine Verzögerung aus organisatorischen Gründen, dann technische Probleme mit der Saalanlage. Die ersten Stunden des Strafverfahrens sind von Formalia gekennzeichnet. Der Vorsitzende Richter Mario Plein muss die Anwesenheit der Angeklagten und Nebenkläger feststellen, allein das dauerte 20 Minuten. Dann kommen schon die Verteidiger mit den ersten Anträgen.
So streiten sich Verteidiger und Gericht darüber, ob zwei Ersatzschöffen befangen sind, weil ihre Kinder ebenfalls die Loveparade besucht hatten (aber vor dem Unglück das Gelände bereits verlassen hatten) oder mit der Freiwilligen Feuerwehr im Einsatz waren, um einen Bereitstellungsplatz für Rettungswagen aufzubauen (der nicht direkt am Unglücksort war). Die Verteidiger sind der Ansicht, dass die beiden Männer deshalb nicht mehr neutral urteilen könnten.
Anklage-Verlesung dauert fast eine Stunde
Oder es geht um die Besetzung der Strafkammer: "Hier sitzen nicht die richtigen Richter", sagt ein Verteidiger und kündigt eine 74-seitige Begründung an. Leises Stöhnen im Saal. Das Oberlandesgericht hätte das Verfahren nicht einer anderen Kammer übertragen dürfen, sagt eine Anwältin. Schließlich gibt es noch Zweifel daran, ob die Anklage so überhaupt hätte zugelassen werden dürfen und deshalb überhaupt vorgelesen werden darf. Fragen, mit denen sich das Gericht am nächsten Prozesstag (Mittwoch, 13. Dezember) beschäftigen wird. Es sind nicht wenige, die hinter den Anträgen der Verteidigung eine Verzögerungstaktik sehen.
Auch wenn viele nicht damit gerechnet haben, setzte Oberstaatsanwalt Uwe Mühlhoff dann um 15.48 Uhr an, um die Anklage zu verlesen. Allein dies dauert 56 Minuten. Vier leitenden Mitarbeitern des Veranstalters Lopavent und sechs Mitarbeitern der Stadt Duisburg wirft die Staatsanwaltschaft fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vor. Es habe schwere Planungsfehler gegeben, die zu einer rechtswidrigen Genehmigung der Loveparade geführt hätten. "Die Veranstaltung hätte in der Form nicht genehmigt werden dürfen", sagt Mühlhoff. Sicherheitsrelevante Auflagen seien nicht beachtet und umgesetzt, die Einhaltung nicht kontrolliert worden.
Verantwortlich dafür sei laut Staatsanwaltschaft ein Dreier-Team des Bauamtes. "Sie hätten erkennen müssen, dass die Veranstaltung nicht durchführbar war." Den drei Vorgesetzten, unter ihnen die Leiterin des Amtes für Baurecht und der frühere Beigeordnete Jürgen Dressler sollen das Genehmigungsverfahren nicht ordentlich überwacht haben. Die Ankläger sprechen von schwerwiegenden Planungsfehlern, wichtige Sicherheitsvorschriften seien missachtet worden, die Genehmigung sei formell und materiell rechtswidrig gewesen, heißt es in der Anklageschrift.
Die vier angeklagten Lopavent-Mitarbeiter sollen ein ungeeignetes Zu- und Abgangssystem geplant haben. Vor allem die Rampe, die auf das Partygelände führte, soll zu eng gewesen sein, um die vorhergesagten Besucherströme aufnehmen zu können. Deswegen sei es am Unglückstag "zu einer Menschenverdichtung auf der Rampe von mehreren 10.000 Menschen gekommen". Pro Quadratmeter seien dort mindestens sieben Menschen zusammengepresst worden. Der Staatsanwalt nennt als Verletzungen etwa Quetschungen, Brüche, eine Nierenblutung und einen epileptischen Anfall. Viele mussten außerdem in psychiatrischen Kliniken behandelt werden.
Einer Zuhörerin, die an jenem Tag auch als Sicherheitskraft bei der Loveparade gearbeitet hat, fällt nach der Anklageverlesung ein Stein vom Herzen. Sie hatte seit dem 24. Juli 2010 die Schuld bei sich gesucht. Dabei sei die Tragödie an jenem Tag nicht mehr zu verhindern gewesen.
Viele Zuschauerplätze blieben leer
Zum Auftakt sind nur wenige Zuschauer in die Düsseldorfer Messehalle gekommen. Von den 234 Zuschauerkarten sind am ersten Prozesstag nur 45 ausgegeben worden, sagte ein Gerichtssprecher. Unter den Zuschauern ist auch Rebecca Doll. Die junge Frau hatte die Massenpanik im Tunnel an der Karl-Lehr-Straße überlebt. Sie hofft für sich, dass der Prozess hilft, das Geschehen an jenem 24. Juli 2010 aufarbeiten zu können. „Dass ich einen Abschluss finde, aber ganz wird das wahrscheinlich nie passieren.“
„Wir hoffen, dass der Prozess hilft, die Ursachen der Katastrophe herauszuarbeiten, um Regeln aufstellen können, damit sich so etwas nicht nochmal wiederholt“, sagte Gerd-Ulrich Kapteina vor Prozessbeginn. Der Anwalt vertritt den Mitarbeiter der Stadt Duisburg, der die Baugenehmigung unterschrieben hat.
Das sind die Angeklagten im Loveparade-Prozess
Dass aus Sicht vieler Betroffener nicht die Richtigen auf der Anklagebank sitzen, war im Vorfeld oft kritisiert worden. Sie sehen die Verantwortung für die Tragödie mit 21 Toten beim damaligen Duisburger OB Adolf Sauerland und Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller. Doch bei beiden sah die Staatsanwaltschaft keine Anhaltspunkte, dass sie Einfluss auf die fehlerhafte Planung oder die rechtswidrige Genehmigung genommen hätten. Deshalb wurden sie auch nicht angeklagt und können mittlerweile auch nicht mehr belangt werden. Aber sie werden an einem der bislang 111 geplanten Prozesstage als Zeugen gehört werden.
Sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg, allesamt aus der Bauverwaltung, und vier Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent werden sich bei dem Prozess im Düsseldorfer Congresscentrum zu verantworten haben. Ihnen wirft die Staatsanwaltschaft unter anderem fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vor.
Angeklagt sind:
- Der ehemalige Duisburger Planungs- und Baudezernent Jürgen Dressler. Seine Mitarbeiter waren für die Überprüfung und Genehmigung zuständig. Zwar stand Dressler damals der Loveparade kritisch gegenüber, Konsequenzen zog er daraus aber keine.
- Die Leiterin des Amtes für Baurecht, Anja G.. Sie versuchte noch vier Wochen vor der Loveparade, die Veranstaltung zu verhindern.
- Die Abteilungsleiter Raimund D., Sachgebietsleiter Ralf J. und die Sachbearbeiter Peter G. und Ulrich B. waren für die Genehmigung der Veranstaltung zuständig.
- Kersten S., der Organisationschef des Veranstalters Lopavent
- Produktionsleiter Stephan S.
- Technik-Leiter Günter S.
- Sicherheits-Chef Lutz W.
Das ist der Saal des Loveparade-Prozesses