Duisburg/Düsseldorf.. Verteidiger der Angeklagten im Loveparade-Prozess sehen eine große psychische Belastung auch bei ihren Mandanten - egal, wie das Verfahren endet.


Ginge es nach ihnen – es gäbe keinen Prozess um die Tragödie der Duisburger Loveparade. Weil sie überzeugt sind, dass der Rechtsstaat auch akzeptieren muss, dass sich manche Dinge nicht in Strafprozessen aufklären lassen. Das allerdings, finden sie, gaukle man den Opfern und Hinterbliebenen vor, die seit nunmehr fast siebeneinhalb Jahren auf diesen Prozess gehofft haben. Die Kölner Kanzlei von Björn Gercke und die von Volker Römermann aus Hannover verteidigen zwei der zehn Angeklagten, die sich wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung ab 8. Dezember in Düsseldorf verantworten müssen: Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent.

„Wenn die Opfer mit der Einstellung hineingehen, dass es hundertprozentig Verurteilungen gibt, besteht die Gefahr weiterer Enttäuschungen“, warnt Römermann. Und fügt hinzu: „Im Moment sehe ich eher überhaupt keine Verurteilung.“ Die Enttäuschung, so Gercke, beginne doch schon damit, dass weder Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland noch Lopavent-Chef Rainer Schaller noch irgendwer von der Polizei auf der Anklagebank sitzen werde.

Die Polizei-Verantwortlichen bleiben außen vor

Dass die Polizei davonkommt, der Tag der Katastrophe selbst im Prozess damit praktisch keine Rolle spielen wird, erstaunt alle Seiten. „Wenn man sich die Videos ansieht, sieht man, dass die Polizeikette offensichtlich ein großer Fehler war, weil an einer Seite abgesperrt wurde und die Menschen zu Tode kamen“, erinnert Gercke. „Man hätte allen etwaigen Fehlern in der Planung, wenn es wirklich welche gegeben haben sollte, am Tag selbst wahrscheinlich noch Rechnung tragen können.“

Anwalt Julius Reiter, dessen Kanzlei rund 100 Opfer und Hinterbliebene der Katastrophe vertritt, hatte angesichts eines Dramas mit 21 Toten und mehr als 500 Verletzten im Gedränge und Fehlern in Planung und Genehmigung von „einer Bankrotterklärung der Justiz“ gesprochen, sofern es nicht zum Prozess gekommen wäre. Das hatte das Duisburger Landgericht zunächst so entschieden, ehe es vom Düsseldorfer Oberlandesgericht überstimmt wurde.

„Strafprozesse sind keine Untersuchungsausschüsse.“

Gercke und Römermann teilen Reiters Einschätzung nicht. „Es wäre eine Bankrotterklärung gewesen, wenn man sich nicht vernünftig damit befasst hätte“, sagt Björn Gercke. Das aber sei geschehen. „Das Ergebnis kann trotzdem sein, dass man einen Prozess nicht eröffnet.“ Das Problem sei, „dass wir es hier mit einem Großunglück bei einer Großveranstaltung zu tun haben“, zu dem viele verschiedene Faktoren geführt hätten.

Strafprozesse seien nicht Untersuchungsausschüsse wie in der Politik, so Römermann. „Der Strafprozess hat nicht die Aufklärung der allgemeinen Wahrheit zum Inhalt, sondern die Frage, ob bestimmte Individuen strafrechtlich zu verurteilen sind oder nicht“, sagt er und dreht den Spieß um: „Wäre es nicht auch ein enormes rechtsstaatliches Problem, wenn im Zuge jahrelanger intensiver strafrechtlicher Verfolgung unschuldige Menschen praktisch zugrunde gerichtet werden?“

Anwalt: Angeklagte bereits durch das Verfrahren bestraft

Die Angeklagten, sechs städtische Mitarbeiter und vier des damaligen Veranstalters, seien bereits durch das Verfahren bestraft, findet Gercke, das seiner Meinung nach „die strafrechtliche Schuldfrage nicht klären wird“. „Ich will das Leiden der Opfer nicht relativieren, das ist ohne Frage eine unbeschreibliche Tragödie für alle Betroffenen und ihre Familien“, sagt Römermann. „Aber ich möchte auch dafür werben, sich einmal fünf Minuten in einen Menschen hineinzuversetzen, der sicher ist, nichts falsch gemacht zu haben, sich seit sieben Jahren in einem Ausnahmezustand befindet, arbeitstechnisch, finanziell, in jeder Hinsicht. Er lebt unter einem unerträglichen Vorwurf, das ist eine unglaubliche, fortdauernde psychische Belastung.“ Wer nun womöglich noch drei weitere Jahre in diese Lage gebracht werde, sei „am Ende kaputt, selbst wenn er durch einen Freispruch von dem strafrechtlichen Vorwurf komplett reingewaschen wird. Auch die zu Unrecht Angeklagten sind in diesem Sinne Opfer des Verfahrens.“

Vereinzelte Sorgen von Hinterbliebenen, die Verteidigung könnte den Prozess mit Anträgen strecken, bis im Juli 2020 die absolute Verjährung eintritt, prallen an den beiden Anwälten ab. Dass es bis hierhin so lange gedauert habe, sei Schuld der Staatsanwaltschaft, die viel zu lange auf das „schlechte Gutachten“ des britischen Panikforschers Keith Still gesetzt habe, kritisiert Gercke. “

Das ganze Gutachten gibt es erst im Prozess

Ein Riesenproblem für alle Prozessbeteiligten sei, dass man erst jetzt ein neues Gutachten bekomme habe, dessen erster Teil 2000 Seiten umfasse. Den zweiten Teil gebe es erst im Prozess. „Das“, so Gercke, „ist bei einem Verfahren dieser Bedeutung und dieser Vorlaufzeit wirklich einmalig.“

Er kenne keinen Verteidiger, der auf eine Verzögerungstaktik setze, beteuert Volker Römermann. Aber „ob wir im Juli 2020 fertig sind, darüber kann man heute keine seriösen Prognosen abgeben.“