Duisburg/Düsseldorf. Duisburgs früherer Ordnungsamtsleiter hatte versucht, die Loveparade zu verhindern. Er liefert Einblicke in eine Verwaltung unter Erfolgsdruck.

Hans-Peter Bölling hat die Loveparade nicht gewollt. Das haben schon andere Zeugen im Prozess um die tödliche Massenpanik von 2010 behauptet, Oberbürgermeister Adolf Sauerland zum Beispiel. Bei Duisburgs damaligem Ordnungsamtsleiter aber ist die Ablehnung durch Aktenvermerke belegt: Bölling war „von Anfang an dagegen“.

Allerdings, er dachte nicht gleich an die Sicherheit. Hans-Peter Bölling sagt es deutlich, dabei hat er versucht, „vorsichtig zu formulieren“: „Ich brauchte keine Stadt, die mit Erbrochenem und Urin und Müll vollgemacht wird.“ Der Chef des Ordnungsamtes hatte Bilder der Technoparade aus Berlin gesehen und darauf „Vandalismus im großen Stil“. Das, sagt er an diesem 43. Verhandlungstag in Düsseldorf, „habe ich nicht gewollt und auch die Nachhaltigkeit der Veranstaltung nicht gesehen“.

Vielleicht hat der heute 68-Jährige sogar Gründe gesucht, die Loveparade zu verhindern, er hatte auch im Frühjahr 2010 „die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass sie vielleicht doch noch abgesagt wird“. Früh hatte er sich in Duisburg vorgeschlagene Strecken angesehen, eine am Innenhafen, eine in der Innenstadt, und befunden: „Das kann auf öffentlichen Straßen nicht stattfinden, es ist einfach kein Raum da.“

„Was das für ein Acker war!“

Sein erster Gedanke zum früheren Güterbahnhof, auf dem die Parade dann stattfand: hier nicht. „Was das für ein Acker war!“ Und als der Ort doch konkret wurde, mahnte er mehrfach, er sei für die erwarteten Besucher „viel zu klein“. Auch die Berechnungen, die er vorlegte, wonach die Loveparade allein in seinem Amt mit einer Million Euro zu Buche schlagen würde, führten nicht zum Ziel.

Bölling wurde nicht erhört. Und er glaubt zu wissen warum: Nach Bochums Rückzieher 2009 „war an eine Absage nicht mehr zu denken“, das Ruhrgebiet habe sich im Kulturhauptstadtjahr „nicht blamieren dürfen“. Das habe der ihm vorgesetzte Dezernent Wolfgang Rabe ausdrücklich gesagt: „Die Veranstaltung muss stattfinden.“

Dass Hans-Peter Bölling nicht auf der Anklagebank sitzt, sondern im Zeugenstand, lag schließlich am Zaun. Es war im Februar 2010, fünf Monate vor der Loveparade, als Veranstalter Lopavent zusagte, zwei Kilometer Gitter („nicht überkletterbar“) aus Berlin mitzubringen. Das ganze Gelände sollte eingezäunt werden. Plötzlich war der Ordnungsamtsleiter gar nicht mehr zuständig, sondern das Bauamt. „Das wusste ich bis dahin gar nicht.“ Trotzdem ahnte er: Alle Besucher, die auf das begrenzte Partygelände nicht mehr passten, würde sich auf „seinen“ Straßen drängen, noch dazu „frustriert“. Davor habe er „Angst“ gehabt.

„Ich habe meine Bedenken immer weiter vorgetragen“

Auch deshalb schwieg Bölling nicht, „ich habe meine Bedenken immer weiter vorgetragen“. Tatsächlich ist das durch die Aktenvermerke belegt, alle versehen mit Böllings schwungvoller Unterschrift: Erinnern aber kann sich auch dieser Zeuge kaum. „Sagt Ihnen das was?“, fragt der Vorsitzende Richter Mario Plein ein ums andere Mal, nachdem er wieder ein Stück vorgelesen hat – man ist jetzt auf Blatt 21.860 der Akte –, die Antwort ist meist nein, „nicht erinnerlich“: Die lange Zeit, es ist ja acht, zehn, elf Jahre her, wonach sie ihn fragen.

Aber was der Zeuge nicht mehr weiß, steht in den Akten. Die Mail vom Februar 2009, in der Bölling sich „enttäuscht“ zeigt „von der Leichtigkeit, mit der Marketingverantwortliche mit dem Thema umgehen“. In der er „kein Verständnis“ äußert, dass „Sicherheitsbedenken überhaupt nicht in Erwägung gezogen“ werden und in der er „strafrechtliche Dimensionen“ erwähnt. Auf die kommt er in einem Brief an seinen Dezernenten Ende Juni 2010 zurück. Darin verweigert er ihm seine Unterschrift für den Fall, dass eine Baugenehmigung nicht erteilt werde. „Das“, schreibt Bölling, „kann ich nicht mittragen.“ Drei Tage nach der Loveparade wiederholt er gegenüber einem Kollegen: „Die Veranstaltung hätte niemals durchgeführt werden dürfen.“

Fühlte sich keine Behörde zuständig für den Tunnel?

Vor Bölling hatte das Gericht seine Stellvertreterin befragt. Beide sagten aus, das Ordnungsamt habe sich verantwortlich gefühlt für den öffentlichen Raum „bis zu den Eingängen“, das Bauamt nur für das „Veranstaltungsgelände“. Das würde bedeuten, dass keine Behörde sich für den Tunnel und die Zugangsrampe zuständig gefühlt haben könnte. Dort starben am 24. Juli 2010 in einer Massenpanik 21 Menschen, 650 wurden verletzt.