Bevor es etwas zu sehen gibt, muss das Publikum zuhören. Die Geräusche einer Waschmaschine, Kinderlachen, eine Moderation im Fernsehen, Telefonklingen und mehr dringen aus einem deprimierendem Hochhaus. Der kurze Trailer von Janine Jembere, der vom 3. bis zum 9. November vor jedem Beitrag der Duisburger Filmwoche gezeigt wird, soll ein Symbol dafür sein, was der Dokumentarfilm leisten kann: Er geht näher heran und lässt die Zuschauer Geschichten entdecken. Im besten Fall sorgt er auch für Denkanstöße, wie der diesjährige Festivaltitel „gut gedeutet“ ahnen lässt.

So kurz vor Beginn des Festivals, räumt Werner Ruzicka ein, würde er sich durchaus fragen: „Wo steht man?“ Sorgen kämen ihm dabei in diesem Jahr aber keine. „Aus den angebotenen Filmen hätten wir zwei Programme machen können“, lobt der Leiter der Filmwoche die hohe Qualität der eingereichten Beiträge. Die Sichtungskommission habe daraus „eine Wundertüte“ packen können.

Oft würden die Beiträge des Festivals auch dazu auffordern, die von ihnen gezeigte Realität zu ändern. Andere Filme wiederum böten einen „magischen Realismus“, so Ruzicka: Auch wenn zunächst alles wie gewohnt wirke, entdecke man darin etwas, das einfach nicht hinein passe und das Publikum in Trance versetze.

Der Eröffnungsfilm des Festivals, „Göttliche Lage“ (Mo., 21 Uhr), fordert nicht nur zur Intervention auf, er dokumentiert sie zum Teil schon: Schulkinder besuchen die Baustelle zum Phoenix-See, der auf der Brache eines Dortmunder Stahlwerks entsteht. „Wie viele Frauen arbeiten hier?“, fragt ein Mädchen. Was wird das kosten? Warum braucht man überhaupt einen See an dieser Stelle? Das sind ausgewachsene gesellschaftliche Fragen.

Einer magischen Idee folgt Stanislaw Mucha im Film „Tristia“ (Fr., 20 Uhr): Er möchte das Schwarze Meer umrunden und die Menschen an seinem Ufer kennen lernen. Einen im Meer badenden Mann, der kurz zuvor noch Muchas festgefahrenes Auto aus dem Schlamm befreit hat, fragt der Regisseur, ob es links oder rechts herum schneller geht.

So beiläufig wie Mucha seine Frage stellt, erzählt in „Kurze Ecke“ (Di., 21 Uhr) die Wirtin einer Hamburger Kiez-Kneipe von den verstorbenen Tresenfreunden: „Weg, weg, weg, weg, weg, weg“, sagt sie, während sie mit dem Finger auf Fotos tippt. Regisseur Bernd Schoch blickt in der Kneipe aber auch über den Rand des Bierglases hinaus.

Ob in Eurasien oder auf St. Pauli: Die Regisseurinnen und Regisseure der Beiträge halten das Versprechen des Trailers, dass es viele Geschichten zu entdecken gibt, wenn man nur näher heran geht.