Duisburg/Dinslaken. Es ist ein ungewöhnliches Verfahren, das das Landgericht Duisburg derzeit verhandelt. Ein türkisch-stämmiger Dinslakener soll seinen Bruder aus Walsum in der Türkei mit einem Messer lebensgefährlich verletzt haben. Um Zeugen zu vernehmen, will das Gericht in die Türkei fliegen.

Im zweiten Anlauf versucht das Landgericht Duisburg seit Donnerstag, ein in jeder Hinsicht ungewöhnliches Strafverfahren zu einem Urteil zu führen. Die Anklage wirft einem 58-jährigen Dinslakener versuchten Totschlag vor. Am 5. Juli 2009 soll er seinen zwei Jahre älteren Bruder aus Duisburg-Walsum mit einem Messer lebensgefährlich verletzt haben.

Ungewöhnlich ist der Tatort: Die Tat ereignete sich im Haus der Eltern, das in Saganli in der türkischen Provinz Trabzon steht. Da Täter wie Opfer einen deutschen Pass haben, ist das Verfahren bei dem für ihren Wohnort zuständigen Landgericht in Duisburg anhängig. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Dinslakener bereits wegen gefährlicher Körperverletzung in der Türkei verurteilt wurde.

Ungewöhnlich ist auch die lange Dauer des Verfahrens. Die Ermittlungen hatten sich mehrfach verzögert, dann hatte die damals zuständige Schwurgerichtskammer wegen Überlastung zwei Jahre lang nicht verhandeln können. Eine Hilfsschwurgerichtskammer übernahm den Fall. Doch die Hoffnung, das Verfahren im November 2013 im Rahmen einer eintägigen Verhandlung erledigen zu können, löste sich in Luft auf.

Tränenreiche Entschuldigung

Der Angeklagte, der zuvor ein Geständnis angekündigt und für diesen Fall bereits eine Verständigung mit Gericht und Staatsanwalt über eine relativ milde Strafe getroffen hatte, berief sich plötzlich auf Notwehr: Sein Bruder habe ihn zuerst geschlagen, er habe im Gerangel nach einem Küchenmesser gegriffen und ungezielt zugestochen.

Eine Version, die der Angeklagte am Donnerstag zunächst wiederholte. Dann entschuldigte er sich tränenreich bei seinem Bruder. Nach eindringlicher Ermahnung berief sich der Angeklagte auf Gedächtnislücken und ließ schließlich durch seinen Verteidiger vortragen, er wolle nicht in Abrede stellen, dass es auch so gewesen sein könne, wie es ihm die Anklage vorwerfe.

Zeugenaussagen in der Türkei

Für das Verfahren sind insgesamt vier Verhandlungstermine vorgesehen. In einer längeren Pause zwischen dem dritten und vierten Verhandlungstag wollen die Strafkammer und die übrigen notwendigen Verfahrensbeteiligten in die Türkei fliegen, um dort Zeugen zu vernehmen. Das schien gegenüber dem Versuch, zahlreiche Zeugen aus der Türkei nach Deutschland vorladen zu wollen, die einfachere Version zu sein. Ob die Reise durch die heutige Aussage des Angeklagten, die man nur bedingt ein Geständnis nennen kann, möglicherweise überflüssig wird, ist derzeit noch nicht absehbar.