An der Charlottenstraße gab es sogar ein gefragtes Ausflugslokal. Aber die Geschichte der Prostitution in der Altstadt reicht zurück ins 19.Jahrhundert.
Hunderte zerkaute Sonnenblumenkerne liegen auf dem Bürgersteig. Ein Tross Männer, vor allem Rumänen und Bulgaren, hocken auf den Treppen vor dem Haus an der Charlottenstraße 77. Gegenüber stehen ein paar Bandidos auf der Straße. Es ist früher Abend. Kinder spielen Fußball, in den angrenzenden Bordellen ist noch nicht viel los. Es ist viele Jahrzehnte her, dass die Straße im Schatten des Stadtwerke-Turms einmal gutbürgerlich war. In den 60er Jahren haben sich die ersten Etablissements niedergelassen, sie siedelten über von der anderen Seite der Altstadt. Seitdem, so der Eindruck der letzten verbliebenen Nachbarn, hat sich die Straße negativ verändert.
„Bar Heike“ eröffnet 1973
„Früher war die Unterstraße der Treffpunkt für Freier und Prostituierte“, erzählt Harald Molder von der Zeitzeugenbörse Duisburg. Er recherchiert gerade für ein neues Buch über Hochfeld. An der Charlottenstraße gab es sogar ein gefragtes Ausflugslokal, in das die Bürger an den Wochenenden einkehrten. Eine Recherche im Stadtarchiv zeigt aber auch, dass die Geschichte der Prostitution in der Altstadt schon auf das 19.Jahrhundert zurückgeht. Die Sittenpolizei überwachte damals das Geschäft im Rotlicht-Milieu, das als „Charakteristikum einer Hafenstadt“ geduldet wurde.
Über städtische Erlasse sollten die Damen dennoch verdrängt werden. Es gab dutzende Anordnungen zum so genannten „Dirnenwesen“. Nach der Jahrhundertwende zum 19. Jahrhundert schuf eine neue Strafgesetzgebung den Rahmen für eine Handhabe gegen unsittliches Verhalten. Die Duisburger Polizei erhöhte den Druck durch eine verstärkte Präsenz, teils ermittelten die Beamten in zivil.
Seit den 50er Jahren mehrten sich die Beschwerden der Anwohner in der Altstadt über das Gebaren der Damen und Herren. Bei einem Treffen mit der Stadt wurde den Nachbarn allerdings verdeutlicht, dass die Stadt an der Situation nichts ändern könne. Erste Überlegungen zur Schaffung eines eigenen „Rotlichtviertels“ nach dem Vorbild des Hannoveraner Steintorviertels wurden erstmals 1959 angestellt. Dazu trat man sogar in Kontakt mit der Stadt Hannover. Durch systematische Umlegungen sollten die Inhaber zur Aufgabe ihrer Betriebe in Innenstadtnähe gezwungen werden.
Von der Charlottenstraße als Ausweichgebiet war da allerdings nicht die Rede. Anhand der Duisburger Adressbücher konnte jedoch der Zeitraum ermittelt werden, in dem dort erste „einschlägige“ Bars und Clubs eröffneten. Ab dem Jahr 1973 findet sich zunächst eine Bar, die „Bar Heike“ Später kamen weitere Clubs und eine Videothek für Erwachsene hinzu. Auffällig ist die Ballung der Etablissements bei den Hausnummern Charlottenstraße 80 bis 84 – dies könnte ein Hinweis für eine systematische Ansiedlung in den vergangenen Jahrzehnten sein. Über den Bordellen haben aber immer auch Familien gewohnt. „Wir hatten hier einen guten Zusammenhalt“, erinnert sich Helga Schmidt (Name geändert), die 1981 zur Charlottenstraße zog. Erst mit den Jahren ging’s bergab. Das Umfeld habe sich immer mehr verschlechtert.
„Boom“ in den 2000er Jahren
Einen „Boom“ als Rotlicht-Viertel erlebte die Charlottenstraße erst in den frühen 2000er Jahren. Im Jahr 2008 berichtete die „Neue Ruhr Zeitung“: „Strukturwandel einmal anders. Das Rotlicht-Milieu investiert kräftig.“ Zahlreiche Clubs siedelten sich an. Inzwischen soll sogar das größte Bordell der Region in Duisburg angesiedelt sein. Mitte 2013 zählten die Laufhäuser rund 430 Zimmer.
Für viele Bürger sind die Charlotten- und Vulkanstraße ein Angstraum. Zusätzliche Probleme gibt es, seitdem aus dem Wohnhaus Nummer 77 eine Bleibe vor allem für Bulgaren und Rumänen wurde. Die Polizei fährt regelmäßig Streife, die Stadt schickt das Ordnungsamt vorbei und kontrolliert. „Statistisch kann man das nicht bestätigen, dass hier viel Kriminalität herrscht“, erklärt der Bezirksbeamte Michael Werzinger, der für die Altstadt zuständig ist. Er vermutet allerdings, dass die Dunkelziffer beträchtlich ist: „Welcher Mann, der ins Bordell geht, zeigt schon gerne ein Raubdelikt an. Er müsste sich ja zu Hause wahrscheinlich rechtfertigen.“