„Na, haste dir neue Schuhe geklaut?“ Der Bezirksbeamte Michael Werzinger lacht breit und gibt dem Bewohner des Roma-Hauses an der Charlottenstraße 77 die Hand. „Die Schuhe hab’ ich gekauft, 20 Euro“, versichert der und zeigt auf die Markentreter. Es ist zehn Uhr morgens, Werzinger dreht seine Runde durch die Charlottenstraße. Seit zwölf Jahren ist die Altstadt sein Revier. Er kennt seine Pappenheimer, weiß, wer in all den Jahren weiter abgerutscht ist. „Nicht jeder Beamte passt in diesen Bezirk“, weiß der 54-Jährige. Er ist der Ansprechpartner für alle: Obdachlose, zugewanderte Rumänen und Bulgaren, Prostituierte oder die Grundschulkinder, mit denen er für die Fahrradprüfung lernt.
Mit 16 Jahren ist er zur Polizei gekommen, die Alternative wäre das Finanzamt gewesen. „Der Slogan war damals: ,Bei der Polizei können Sie Hubschrauber fliegen, Motorrad oder Porsche fahren. Kein Tag ist wie der andere’“, erinnert sich der Hauptkommissar. Im Polizei-Porsche saß er nie, auf dem Krad nur für den Führerschein – aber kein Tag ist wie der andere. Bevor sich der Handball-Bundesligatrainer in den Bezirksdienst versetzen ließ, hat er als Mitglied der Hundertschaft Demonstrationen gesichert oder war in Stadien unterwegs. Nun dreht er alle zwei Tage seine Runde durch die Altstadt. Kontrolliert im Kant-Park, ist Ansprechpartner für die Sorgen der Bürger in der Innenstadt.
Kauderwelsch aus Englisch und Deutsch
An der Charlottenstraße, Hausnummer 77, ist immer etwas zu tun. Er hat einige „Vorgänge“ in der Tasche, Adress- oder Halter-Ermittlungen beispielsweise. Eigentlich sei es ja Sache der Post, die Briefe zuzustellen. Doch die Bewohner haben ihre Familiennamen über die abgerissenen Briefkästen gekritzelt. Niemand weiß, ob die Personen, die hier gemeldet sind, auch tatsächlich noch hier wohnen. Kann die Post nicht zugestellt werden, landet sie irgendwann bei Werzinger auf der City-Wache – und der überbringt sie persönlich. Mit den Rumänen und Bulgaren spricht der Hauptkommissar ein Kauderwelsch aus Englisch und Deutsch. Manchmal sind Kinder in der Nähe, die bittet er dann, zu übersetzen. Oft sind es schlechte Botschaften, die er dabei hat. Neulich sollte er einen Jugendlichen in Dauerarrest schicken. Der Junge sei in Urlaub, versicherte daraufhin der Vater. Zwei Wochen später übergab der Erwachsene seinen Filius dann persönlich. Die Hausbewohner haben zu dem Beamten mittlerweile Vertrauen gefasst. „Ich kann konsequent sein, aber ich behandel’ jeden wie einen Menschen.“ So stellt Werzinger nicht nur Haftbefehle zu, sondern übersetzt offizielle Briefe vom Amt – oder hilft bei der Beantwortung. „Das mach’ ich für die Obdachlosen am Kuhtor auch. Ich bin noch Freund und Helfer.“ Die meisten haben sogar seine Handynummer. So wie die Dame, die ihn vor kurzem anrief und bat, einmal nach ihrer Freundin, einer Bewohnerin der Charlottenstraße 73, zu schauen. Die ältere Frau habe Angst und traue sich nicht mehr raus, weil die Kinder so garstig zu ihr gewesen seien. Werzinger hörte zu und bot an, ihr beim Umzug zu helfen, wenn sie es nicht mehr aushalte. „Ich hab’ einen guten Draht zur Diakonie und zur Not tapezier’ ich auch.“
Der Bezirksbeamte kennt die Gemengelage an der Charlottenstraße. Er hört sich alle Seiten an: Die Beschwerden von den Nachbarn, die Klagen der Bordellbetreiber und die Sorgen der Roma. An den Problemen ändern könne er nichts, dafür sei die Politik zuständig. Er weiß, dass für viele Duisburger die Charlotten- und die Vulkanstraße ein Angstraum sind. Als Polizist hat er keine Angst. Aber: „Nach Einbruch der Dunkelheit gehe ich hier alleine nicht mehr hin.“ Trotzdem möchte Werzinger um nichts in der Welt den Bezirk tauschen – er hat Gefallen am prallen Leben gefunden.