Die Video-Leinwand in der voll besetzten Salvatorkirche zeigt die drei Manuale der Kuhn-Orgel. Wayne Marshalls rechte Hand huscht flach über die Tasten und erzeugt die treibenden Sechzehntel der berühmten Toccata aus Charles-Marie Widors 5. Orgelsinfonie. Die Linke fliegt zwischen den Akkorden hoch. Die Zuhörer, die den Organisten oben auf der Orgelempore im Rücken haben, verfolgen konzentriert jede seiner Bewegungen auf der Leinwand. Die Toccata ist der fünfte Satz der Sinfonie und der vorläufige Höhepunkt beim Auftaktkonzert des Orgelfestival Ruhr 2014.
Zum siebten Mal kooperieren die sechs Kirchenmusiker der evangelischen Stadtkirchen von Duisburg bis Dortmund und stellen mit sechs ausländischen Gästen zwölf Orgelkonzerte zusammen, die die einmalige Orgellandschaft des Ruhrgebietes präsentieren. Das riesige Instrument zu spielen, erfordert die ganze Person, eigentlich sogar zwei, Salvatorkantor Marcus Strümpe registriert und blättert für den Kollegen, der für ihn einer der „aufregendsten Organisten unserer Zeit“ ist. Wayne Marshall hat als Organist, Pianist und Dirigent weltweit Engagements. Strümpe, der Kustos der Mercator-Orgel, lernte ihn vor vier Jahren bei der Orgeleinweihung der neuen Mercator-Halle kennen. Marshall kam zum Üben in die Salvatorkirche und verliebte sich in den Klang der Kuhn-Orgel. Deshalb war er gerne bereit, sein Berliner Engagement für das Konzert zu unterbrechen.
In die Stille spielt Marshall die zwei Themen, über die er frei improvisieren wird. In den Kirchenbänken löst sich die Spannung, es wird amüsiert gekichert. Er hat sich, passend zur WM, für die Motive der deutschen und englischen Nationalhymne entschieden. Die Hymnen begegnen sich, unterlaufen einander, zerlegen sich in ihre Bestandteile und finden wieder zusammen. Der Ruf nach „Einigkeit und Recht und Freiheit“ kriegt die Flötentöne beigebracht, der Segen für die Queen liegt als tiefer Bass unter jazziger Hektik. „Ich habe so etwas Einmaliges noch nie erlebt“, sagte Konzertbesucherin Cordula Gröbe: „Es klang so perfekt, kaum zu glauben, dass die Musik erst in dem Moment entstand, als wir sie hörten.“
Das zweite Duisburger Konzert des Festivals spielt Marcus Strümpe am Sonntag, 17. August, um 18 Uhr.