Duisburg. Die NRZ sprach mit Oberbürgermeister Sören Link über den aktuellen Zustand der deutsch-französischen Städtepartnerschaft zwischen Duisburg und Calais, die am 25. Juni 1964 besiegelt wurde.

Diese deutsch-französische Freundschaft feiert in diesem Jahr 2014 „Goldene Hochzeit“: Seit 50 Jahren, seit dem 25. Juni 1964, sind Duisburg und Calais „ziemlich beste Freunde“ – eine große Hafenstadt am Fluss und eine kleine Hafenstadt am Meer.

Sogar der damalige französische Staatspräsident Charles de Gaulle, der im Jahr 1963 mit dem deutschen Bundeskanzler die deutsch-französische Aussöhnung in eine Vertragsform brachte, war über diese zarte Bande zwischen Duisburg und Calais bestens im Bilde. War doch de Gaulles Ehefrau Yvonne zugleich auch die Schwester von Jacques Vendroux, dem Bürgermeister von Calais, der damals mit dem Duisburger OB August Seeling am 25. Juni 1964 die Städtepartnerschaft besiegelte.

Grande Nation kämpft mit Krisen

Ein halbes Jahrhundert später besteht diese gute Freundschaft der Städte nach wie vor. Mit leichten Spuren der Routine zwar und mit einem Gefühl großer Selbstverständlichkeit.

Dabei steckt die Grande Nation derzeit in einer höchst prekären Lage: Schuldenkrise, Reformkrise, Vertrauenskrise, Wirtschaftskrise, Führungsversagen und eine rechtsextreme Partei, die bei einer Europawahl zur ersten Kraft im Lande gewählt wurde. Mehr denn je kommt es auf gute alte Freunde jenseits des politischen Getümmels an – auf Freunde wie Duisburg und Calais seit Jahrzehnten welche sind. Die NRZ sprach mit Oberbürgermeister Sören Link über seine Sicht der Dinge und über den aktuellen Zustand der Städtepartnerschaft von Duisburg mit Calais.

Das Interview

In welchem Zustand befinden sich derzeit die Beziehungen zwischen Calais und Duisburg?

OB Sören Link: Auch nach 50 Jahren ist die Beziehung zwischen beiden Städten lebendig und vielfältig. Begonnen hat sie mit dem Gedanken der Aussöhnung nach dem 2. Weltkrieg – ganz ähnlich wie die Städtepartnerschaft mit Portsmouth. Schon ein Jahr nach dem Élysée-Vertrag vom 22. Januar 1963, der die guten Beziehungen und die ‘Freundschaft’ zwischen Deutschland und Frankreich institutionalisierte, unterzeichneten die Städte Calais und Duisburg ihren Partnerschaftsvertrag. Das war der Anfang einer Beziehung, die sich parallel zum guten, freundschaftlichen und heute selbstverständlichen Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland entwickelt hat.

Es gibt regelmäßige Besuche und Austausche mit bürgerschaftlichem Engagement aber auch offizielle Besuche, wie jetzt der von Bürgermeister Manfred Osenger. Er wird den jährlichen Sportaustausch zwischen beiden Städten begleiten und sich mit der Amtskollegin in Calais treffen. Zum 50ten Jubiläum der Partnerschaft erwarten wir im September eine Delegation aus Calais.

Warum gibt es keine breitere Beziehung der Bürger zwischen Duisburg und Calais?

Link: Die Beziehungen in der Bürgerschaft bestehen seit langem, sind beständig und abwechslungsreich. Ich freue mich, dass es zum Beispiel Schulpartnerschaften mit Schulen in Calais an der Gesamtschule Mitte, der Lise-Meitner-Gesamtschule sowie am Max-Planck-Gymnasium gibt. Und aktuell steht die Gründung einer neuen Schulpartnerschaft zwischen dem Collège Martin Luther King in Calais und einer Duisburger Schule an. Noch ist nicht ganz klar, welche es sein wird.

Der regelmäßige Austausch, den der Stadtsportbund organisiert, ist ein etabliertes Format für junge und erwachsene Menschen aus Duisburg und Calais, die sich im freundschaftlichen Wettkampf messen. Der ETuS Bissingheim 1925 e.V. pflegt einen regelmäßigen Austausch im Fußballbereich mit dem Verein Calais Beau-Marais Football.

Im kulturellen Bereich nehmen junge Bands aus Calais regelmäßig am Projekt EURO ROCK teil, das der Gitarrist Peter Bursch in Kooperation mit dem Kulturbüro der Stadt durchführt. Im Rahmen des Mercatorjahres 2012 fand das Projekt „Crossroutes 51°“ mit Schülerinnen und Schülern aus Duisburg und den Partnerstädten Portsmouth (Großbritannien), Vilnius (Litauen), Gaziantep (Türkei), Perm (Russland) und eben Calais statt.

Nicht zuletzt gibt es in Duisburg die Deutsch-Französische Gesellschaft e.V., die jährlich das „Dîner amical“ stattfinden lässt und neben regelmäßigen Informationsangeboten auch Projekte wie z. B. Lesewettbewerbe für Schüler anbietet. Anfang Januar hat die Gesellschaft zusammen mit der Schilderfirma Schnürle und der Stadt Duisburg das Stadtwappen am Calais Platz zum Jubiläumsjahr erneuert.

Wie nehmen Sie derzeit Frankreich wahr?

Link: Eine fundierte Einschätzung zu geben, fällt mir ad hoc schwer. Aber der Rechtsruck - wie auch in anderen europäischen Staaten – ist erschreckend. Dennoch halte ich Frankreich für eine gefestigte Demokratie, die für Europa wichtig ist.

Könnten die Deutschen/ Duisburger aus Solidarität etwas tun, um den Freunden aus ihrer politischen Krise zu helfen?

Link: Ich finde, dass das gegenseitige Kennenlernen und Austauschen von Meinungen dabei hilft, Vorurteile und falsche Einschätzungen abzubauen. Städtepartnerschaften wie die mit Calais bieten diese Chance für junge aber auch für ältere Menschen.

Duisburg und Calais feiern im September ihr Jubiläum. Was genau ist geplant?

Link: Wir planen vom 4. bis 6. September ein Festwochenende „50 Jahre Städtepartnerschaft Calais-Duisburg“. Da wird es eine kulinarische Reise nach Calais in Form eines französischen Marktes auf der Königstraße geben.

Die Bibliothek bietet eine Lesung mit der Schriftstellerin Iris Radisch an, im Theater wird das Stück „Kunst“ von Yasmina Reza gespielt, die Reihe „Jazz auf’m Platz“ widmet ein Konzert der französischen Musik und eine Fotoausstellung zeigt „Impressionen aus 50 Jahren Städtepartnerschaft Duisburg-Calais“. Offiziell wird am 4. September im Rathaus mit den Freunden aus Calais gefeiert.

Die Ruhrgebietsstadt Herne feiert mit ihrer frz. Partnerstadt gerade 60 Jahre Freundschaft. Doch in der frz. Partnerstadt gibt es jetzt einen Bürgermeister des Front National und der Rat der Stadt Herne ringt um eine Haltung. Sollte man eine solche Beziehung besser auf Eis legen? Wie würde sich der OB von Duisburg verhalten, wenn im Rathaus von Calais jetzt der Front National das Sagen hätte?

Link: Die Wahlen haben nach meinen Informationen keine entscheidenden politischen Veränderungen im Stadtrat von Calais ergeben, deshalb stellt sich mir diese Frage zurzeit nicht.

Haben Städtepartnerschaften nach bisherigem Muster noch eine Zukunft? Sollte man nicht deutsch-französisch bilaterale Städtepartnerschaften mit dem europäischen Gedanken anreichern und Dreier-Partnerschaftsklubs bilden? Zum Beispiel die Hafenstädte Duisburg-Calais-Antwerpen - oder Calais-Duisburg-Vilnius.

Link: Ich halte Städtepartnerschaften – vor allem die älteren – für eine feste Größe in der Stadtgesellschaft. Gerade Calais und Portsmouth stehen für die Geschichte der Aussöhnung und des Zusammenwachsens eines einst verfeindeten Europas. Sie sind heutzutage gerade für jungen Menschen eine Chance, sich mit einem anderen Land auseinander zu setzen.

Deshalb muss der Austausch zwischen Schulen oder Vereinen unterstützt werden. Dass es dabei auch andere Wege gibt, als die bisherigen, daran zweifle ich nicht. Ideen für ein anderes Miteinander entwickeln zum Beispiel Schulen oder Künstler – und ich bin fest davon überzeugt, dass weitere Initiativen von bürgerschaftlichen Vereinigungen ausgehen werden. Die Stadt unterstützt im Rahmen ihrer Möglichkeiten, aber die sind leider begrenzt.