Vor 40 Jahren bezog die Nationalmannschaft von Uruguay ihr WM-Quartier in der Sportschule Wedau. Schon in der Nacht herrschte Chaos, später platzte Oberbürgermeister Arnold Masselter der Kragen. Zur Vorbereitung versuchten sich die Südamerikaner gegen zwei Duisburger Teams - und enttäuschten vor 5000 Fans.
Die Vorfreude war groß: Vom großen Kuchen der WM 1974 in Deutschland fiel auch ein kleines Stück für Duisburg ab. Die Nationalelf von Uruguay, der Weltmeister von 1930 und 1950, bezog genau vor 40 Jahren ihr WM-Quartier in der Sportschule. Am 9. Juni reiste der Tross an Spielern an. Die NRZ begrüßte die „Urus“ auf der ersten Lokalseite mit Fettdruck in ihrer Landessprache: „Bienvenidos en Duisburgo“. Doch nach ihrer Ankunft hatte sich die Freude schnell getrübt: Denn die Mannschaft aus Uruguay sorgte während ihres Aufenthalts auch für einigen Ärger.
Am Empfang kann es nicht gelegen haben: Bei der Ankunft des „Rheingold-Express“ an Gleis 10 im Hauptbahnhof spielte die Bergkapelle Hamborn auf. Das Begrüßungskomitee führte Oberbürgermeister Arnold Masselter an, der auch gleich ein Testspiel einer Duisburger Auswahl vorschlug. Doch der fast 40-köpfige Tross aus Südamerika bat erst einmal um Ruhe: Die Reise mit dem Zug aus der Schweiz hatte die Spieler geschlaucht, ein DFB-Bus brachte sie zügig in die Sportschule.
Dort hatten sie im Vorfeld extra die Zimmer renoviert und die Rasenplätze saniert. In der Küche musste man sich über die Vorräte keine Gedanken machen: Ein Großgrundbesitzer aus Uruguay hatte für die Spieler 900 Kilo Fleisch gespendet und nach Duisburg geschickt.
Interviews für 200 Dollar
Während sich die deutsche Elf um Franz Beckenbauer beim Training in Malente über den Besuch von Filmstar Heidi Brühl und 5000 Fans freute, brach in Wedau das Chaos aus. Ein „heilloses Durcheinander“ herrschte dort, die Spieler und Offiziellen aus Uruguay bringen alle Beteiligten zur Verzweiflung, berichtete die NRZ: „Die Sportschule gleicht einem Bienenstock, dessen Flugloch verstopft ist“.
Bis in die Nacht hätten die Spieler und Offiziellen „palavert“, das Programm für den nächsten Tag siebenmal umgeschmissen, bis man sich um zwei Uhr nachts endlich einig gewesen sei. Zwischenzeitlich war die Telefonvermittlung der Sportschule zusammengebrochen.
Die Spieler beschwerten sich derweil über die Handtücher, die zu klein seien, um sie sich um die Hüfte zu binden. Daraufhin nutzten sie einfach die quadratmetergroßen Bettlaken. Die Presse war ohnehin selten willkommen: Der Torwart Ladislao Mazurkiewicz, bei der WM zuvor zum besten Torhüter gekürt, riss abwehrend die Hände hoch, als er einen Fotografen beim Training entdeckte — das würde Unglück bringen, erklärte der abergläubische Mazurkiewicz, sonst eher einer der Spaßvögel des Teams.
Auf viele Fragen gab es nur eine Antwort: „Manana“. Wer mehr hören wollte, sollte für ein Interview 200 Dollar springen lassen. Überhaupt mangelte es den Gästen nicht an Selbstbewusstsein: Als ein Kaufhaus für eine Autogrammstunde wahlweise eine Uhr oder ein Radio anbot, verlangten die Spieler beides. Und Trainer Roberto Porta antwortete auf die Frage nach den WM-Zielen keck: „Wir schlagen im Finale Deutschland. Was glauben Sie, warum wir sonst hierher gekommen sind?“
Rotwein zum Mittagessen
Der Stadtspitze ging das Verhalten der Gäste mittlerweile auf die Nerven. Oberbürgermeister Arnold Masselter war nicht nur wegen des organisatorischen Chaos stocksauer. Am Morgen waren statt der gesamten Mannschaft nur fünf Offizielle zum Empfang ins Rathaus gekommen. Masselter riss der Geduldsfaden: „Wir haben Gäste aus allen Erdteilen hiergehabt. So etwas habe ich noch nicht erlebt. Das ist fast eine Beleidigung für die Sportstadt Duisburg.“
Die fünf Offiziellen um Fermin Sorueta, den Präsidenten des uruguayischen Fußballverbandes, überreichten dem OB als Gastgeschenk eine Kutsche im Miniaturformat und trugen sich ins Goldene Buch der Stadt ein. In einer 1985 vom Verkehrsverein (heute Pro Duisburg) veröffentlichten Chronik zum Goldenen Buch heißt es: „Da fleißig trainiert wurde, erschien zum Empfang bei Oberbürgermeister Masselter nur eine kleine Delegation der 36 Mann starken Equipe“. Allerdings stellte NRZ-Sportreporter Günther Wettläufer damals zum Trainingsablauf erstaunt fest, dass für die Spieler beim Mittagessen Rotwein auf dem Tisch stand und sie anschließend stundenlang Skat spielten.
Den OB, aschfahl im Gesicht, beruhigte auch ein Cognac nicht
Der offizielle Besuch am Morgen hatte bei OB Masselter jedenfalls das Fass zum Überlaufen gebracht. Am Mittag stand er mit aschfahlem Gesicht im Speisesaal der Sportschule, nippte an einem Cognac und fingerte mit zitternden Händen an einer Zigarette. Das Thema Uruguay sei für ihn erledigt, sagt er: „Auf solche Gäste können wir verzichten“.
Eine Geste der Höflichkeit gab es dann aber doch: Zweimal traten die Urus an einem Tag auf der Fugmann-Kampfbahn gegen Mannschaften aus Duisburg an: Die zweite Garde der Südamerikaner schaffte gegen eine Landesliga-Auswahl der Vereine SV Duissern, Hamborn 07, dem DFV 08 und GSG Duisburg nur mühsam ein 1:0. Kommentar in der NRZ: „Die Ersatzmannschaft von Uruguay versagte auf der ganzen Linie“. Zwar sei das Niveau bei der zweiten Partie, in der die Stammelf der Urus gegen Eintracht Duisburg mit 2:0 gewann, höher gewesen, die Südamerikaner hätten dabei aber auch nicht überzeugen können.
5000 Fans bei Testspielen
Immerhin: 5000 Fans lockten die beiden Spiele für fünf Mark Eintritt. Der OB hatte sich dafür eingesetzt, dass Schulklassen die Spiele umsonst sehen durften. Unter den Zuschauern waren auch Beobachter von Uruguays erstem WM-Gegner Niederlande, die nicht so recht wussten, was sie von dem Testkick halten sollten: Waren die Urus, bei der WM zuvor noch Vierter, tatsächlich so schwach oder hatten sie nur mit verdeckten Karten gespielt?
Die Antwort gab es wenige Tage später: Gegen die Niederlande zog Uruguay mit 0:2 den Kürzeren, holte gegen Bulgarien nur ein Remis und ging gegen Schweden mit 0:3 unter. Wie aus der WM-Vorrunde verabschiedeten sich die Gäste aus dem kleinen Land am Rio de la Plata dann auch sang- und klanglos aus Duisburg.