In den vergangenen zwölf Jahren ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die wegen Depressionen stationär behandelt werden müssen, um das Sechsfache gestiegen, sagt die DAK Gesundheit auf Basis von Zahlen des Statistischen Landesamtes. Waren es im Jahr 2000 nur 14 Fälle, so gab es 2012 bei den 10- bis 19-Jährigen bereits 83 Fälle - doppelt so viele Mädchen wie Jungen. Landesweit ist die Zahl sogar um das Neunfache gestiegen.
Das müsste die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Bertha-Krankenhauses in Duisburg-Rheinhausen ja gespürt haben. Ihr Leiter, Markus Steinhoff, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, beobachtet aber wenig Veränderung in seinen Wartelisten – im Gegenteil, aktuell gibt es sogar eine leichte Entspannung. Statt sechs Monate müssen Betroffene derzeit „nur“ zwei Monate auf ein Bett warten. Rund 200 Kinder werden jährlich stationär behandelt, 100 besuchen die Tagesklinik, in der Ambulanz landen fast 700 Patienten ab sechs Jahren.
Steinhoff betont, dass Depression bei Kindern und Jugendlichen ganz anders aussehen kann als bei Erwachsenen und bei Jungs anders als bei Mädchen. So sei das typische Morgentief, die Motivationslosigkeit, Probleme im Job, das Verlieren von Tagesstruktur typisch für Erwachsene. Jungs würden häufiger aggressiv mit Impulsausbrüchen reagieren, „die setzen sich nicht in eine Ecke“, veranschaulicht Steinhoff. Verbale Entgleisungen seien eher an der Tagesordnung. Mädchen würden sich schon eher zurückziehen. In den seltensten Fällen gehe es jedoch um reine Depressionen, oft kämen „Ko-Morbiditäten“ hinzu wie Ess-Störungen.
Nicht die Zahl der Betroffenen treibt den Arzt um, sondern der Druck der Kassen, die Verweildauer in der Klinik zu verkürzen. Heute liege man im Schnitt bei 32 Tagen, fahre dann teilstationär oder ambulant fort, früher seien es drei bis fünf Monate gewesen, das sei nachhaltiger. Diese jungen Menschen könnten sich noch in jede Richtung weiter entwickeln, daher müsse man im Rahmen der Therapie „neues Selbstbewusstsein aufbauen, damit sich die Betroffenen den Herausforderungen des Lebens stellen können“.
Dr. Albert-Franz Ernst, Vorsitzender des Bündnisses gegen Depression, kann vor allem einen Anstieg der Fallzahlen bei den Erwachsenen bestätigen, was er aber positiv sieht: Früher seien seelische Erkrankungen eher verschleiert worden, aus Schamgefühl sei nicht therapiert worden, was die Lage chronifiziert, verkompliziert hätte. „Heute nutzen Patienten eher eine Therapie und stehen auch dazu: „Die Patienten wünschen kaum noch, dass der Hausarzt die Krankschreibung übernimmt, weil sie der Facharztstempel inzwischen nicht mehr stört“, berichtet Ernst. Auch Arbeitgeber würden oft positiv reagieren, „weil die Betroffenen etwas für sich tun“.
Insgesamt ist der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie aber skeptisch, was Statistiken betrifft. Zu indifferent sei das Bild, es fehle eine Diagnostikstelle, die verlässlichere Zahlen bringt, die unterscheidet zwischen den Bedürfnissen, die von einer stationären Behandlung bis zum Besuch einer Beratungsstelle reichen könnten.