Die Rolle der Doris in Irmgard Keuns „Kunstseidenem Mädchen“ ist ein Geschenk für junge Schauspielerinnen. Irmgard Keun, deren Werke später von den Nazis verbrannt wurden, hatte mit ihrem zweiten Roman 1932 sowohl viele Leser als auch das Lob der Kollegen gewonnen. Sie waren fasziniert von dieser jungen Frau, die aus ihrer armen Familie und dem „Drecknest im Rheinland“ in die schillernde Großstadt Berlin abhaut, um „ein Glanz zu werden“, denn es ist „etwas Großartiges“ in ihr, das spürt sie. Doris ist naiv und stolz, hübsch und keck. Sie raucht und trinkt. Sie ist schlau und ungebildet. Sie kennt zwei Gründe, mit einem Mann zu schlafen: Geld oder Liebe. Sie will nicht arbeiten, sondern auf vermeintlich leichtem Weg ans Geld kommen. Sie klaut – und ist dabei doch auf ihre Weise eine ehrliche Haut.
Ein Riesentext, eine Riesenrolle, eine Riesenaufgabe für Jennifer Riahi, zumal das Stück als Dinner-Theater im Rahmen der Akzente Premiere hatte; das lockert die Stimmung , geht aber zu Lasten der Konzentration. Regisseur Michael Steindl stellt ihr mit Wolfgang Völkl einen Musiker zur Seite, der die Atmosphäre der frühen 30er Jahre an vielen Instrumenten zum Klingen bringt – manchmal nur in wenigen Takten aus Schlagern oder Filmhits, aber auch aus dem Deutschlandlied oder der Internationalen. Doris erlebt in Berlin Luxus und Elend. „Es werden die feinsten Leute heute verhaftet“, heißt es an einer Stelle. Und das Publikum schmunzelt. Wenn Doris einen Weihnachtsabend voller Einsamkeit und Hunger verbringt, dann machen ein paar Takte von „Stille Nacht“ das Elend komplett.
Drei Spielbereiche sind rund um die Tische im Opernfoyer eingerichtet, und Jennifer Riahi gibt alles. Sie spielt die aufmüpfige Tippse, den singenden Showstar, die mitfühlende Nachbarin, die gierige Geliebte, das staunende Mädchen, die enttäuschte Frau, immer getrieben von der Suche nach Geld, Glanz, Glück und Liebe. Viele Facetten, und doch entwickelt Jennifer Riahi nicht die Ausstrahlung, die einen Sog entstehen oder mitfiebern lässt: Was passiert als nächstes, wie geht es mit ihr weiter? Bei aller körperlichen Nähe – letztlich bleibt Distanz.