Duisburg. Die Zahl der Vermisstenfälle in Duisburg steigt, sagt die Leiterin des für solche Fälle zuständigen Kriminalkommissariats 12 der Duisburger Polizei. Die Suche über soziale Netzwerke ist dabei laut Polizei selten hilfreich. Angehörige treten damit oft eine Lawine los, die sie nicht mehr kontrollieren können.
Wenn Mietze oder Waldi tagelang nicht nach Hause finden, kann es durchaus sinnvoll sein, dass Herrchen oder Frauchen mit handgefertigten Plakaten nach dem Tier suchen. Wird aber ein Mensch vermisst, sieht es die Polizei gar nicht gerne, wenn besorgte Angehörige ohne Absprache auf eigene Faust tätig werden und Zettel mit dem Bild des vermissten Menschen in zahlreichen Geschäften verteilen, an zig Bäume pappen, oder - noch schlimmer - soziale Netzwerke für die Suche einspannen.
„Den meisten sind die Konsequenzen dieser Vorgehensweise nicht bewusst. Eltern spannen teilweise auch Freunde und Bekannte ein und treten damit eine Lawine los, die sie nicht mehr kontrollieren können.“ Kriminalhauptkommissarin Beatrix Spohr (53) spricht aus langjähriger Erfahrung. Seit 1994 leitet sie das KK 12 bei der Duisburger Polizei, das unter anderem für Vermissten-Fälle zuständig ist. Im Jahr 2012 waren das knapp 1400 Fälle. „Wir als Polizisten bewerten solche Fälle anders als die Angehörigen. Man erkennt schnell im Gespräch mit den Menschen aus dem Umfeld des Vermissten, ob jemand gefährdet ist, oder ob jemand mit 15 oder 16, mittlerweile auch schon mit 13 oder 14 Jahren eine Auszeit von der Familie nimmt.“
Wenn in solchen Fällen die Kinder bald wieder zurückkommen, die Eltern aber per Plakat oder Facebook nach ihnen gefahndet haben, stehe oft die ganze Familie im Fokus des Interesses anderer Leute. „Viele bringen dann auch ihre Vorurteile über die betreffende Familie in die Debatte ein. Oftmals müssen die Kinder dann in ihrem schulischen Umfeld so Einiges ertragen“, sagt Polizeisprecher Stefan Hausch. „Wir gehen in Absprache mit den Angehörigen mit einem Vermisstenfall nur an die Öffentlichkeit, wenn wir Anhaltspunkte für eine Gefahrensituation haben.“
Nicht jeder will gefunden werden
„Wir prüfen immer den Einzelfall“, betont Beatrix Spohr. „Davon machen wir unser weiteres Vorgehen abhängig. Bei kleinen Kindern, oder bei älteren, aber behinderten Kindern wird die Maschinerie sofort in Gang gesetzt. Auch bei dementen Personen, deren Fälle stetig zunehmen, handeln wir so schnell wie möglich.“ Wenn nötig, auch mit Hilfe einer Hundertschaft. Das gelte vor allem, wenn die Polizei Anhaltspunkte habe, dass Vermisste selbstmordgefährdet sind, oder die Gefahr besteht, dass sie Opfer einer Straftat geworden sind.
„Es ist manchmal schwierig, den Angehörigen zu erklären wie wir vorgehen. Die wollen natürlich immer das Maximale von uns“, sagt Beatrix Spohr. Die Leiterin des KK 12 weiß genau, wo von sie spricht: „Die pubertierende 15-Jährige, die keinen Bock hat ihr Zimmer aufzuräumen, und lieber auf Tralafitti geht, ist ein anderer Fall und deshalb anders zu behandeln als eine vermisste demente Person.“
Polizei wird auch manchmal als Druckmittel genutzt
Manchmal werde die Polizei auch als Druckmittel benutzt. Es gebe oft Jugendliche, die aus Heimen abhauen. „Sobald die abends nicht im Bett liegen, kommt das Fax an uns. Das dient auch schon mal dazu, die Jugendlichen dazu zu zwingen, sich an die Regeln zu halten.“
Ähnliches komme auch bei Erwachsenen vor, etwa in Einrichtungen für den Alkohol- oder Drogenentzug. „Wenn da jemand nicht zurückkommt und kein Hinweis auf eine Gefährdungssituation vorliegt, muss man das akzeptieren, denn die Persönlichkeitsrechte sind zu achten.“ Gleiches gelte für Menschen, die verschwinden, um woanders ein neues Leben anzufangen.
Vermisstenfälle: Zahlen und Fakten
Die Zahl der Vermisstenfälle steigt in Duisburg an. Wurden von der Polizei 2011 noch 1266 Vermisstenfälle bearbeitet, waren es 2012 bereits 1395.
2011 haben die Beamten 1069 Sucheinsätze nach Vermissten geleistet. 2012 stieg die Zahl der Sucheinsätze auf 1247 an.
Von den 1395 Vermissten im Jahr 2012 waren 370 Kinder (unter 14 Jahren), 643 Jugendliche (14 bis 18 Jahre), 216 Erwachsene unter 60 Jahren und 97 Erwachsene ab 60 Jahren.
283 Mädchen im Alter zwischen 14 und 16 Jahren wurden vermisst, darunter 38 nicht-deutsche Mädchen. 216 von ihnen waren aus Heimen abgängig, 43 aus Familien. Zudem wurden 186 Mädchen im Alter zwischen 16 und 18 Jahren vermisst, ebenfalls insbesondere aus Heimen (138).
Die älterern Vermissten über 60 Jahre kehren meist nach weniger als drei Tagen zurück bzw. werden aufgefunden oder ermittelt.
Bei Minderjährigen, so Beatrix Spohr, gelten grundsätzlich andere Voraussetzungen. Besonders schwierig werde es oft, wenn die Minderjährigen aus einem anderen Kulturkreis kommen.
Heiratsarrangements als Ursache
„In den 80er und Anfang der 90er hatten wir oft das Problem mit muslimischen Mädchen, die weggelaufen waren, weil sie in ihrer Heimat verheiratet werden sollten“, erinnert sich Spohr. Das habe nachgelassen. „Aber jetzt gibt es zunehmend Probleme mit 12-, 13- und 14-jährigen Mädchen aus osteuropäischen Ländern, wo Familien Heiratsarrangements treffen und dann ist aus irgendwelchen Gründen die Familie des Mädchens nicht mehr damit einverstanden und will ihr Kind zurück. Die andere Familie besteht aber auf der Abmachung und versteckt das Kind. In drei ähnlich gelagerten Fällen mussten wir noch im Dezember vergangenen Jahres eingreifen.“