Wer heute an Willy Brandt denkt, schaut nicht nur auf die Karriere einer außergewöhnlichen Persönlichkeit zurück, sondern auch auf ein ganz anderes Deutschland. „Als Brandt Duisburg besuchte, stand die Stadt voll im Saft, traute sich zu, die Welt gestalten zu können“, erinnert sich SPD-Stadthistoriker Hartmut Pietsch. Für eine Chronik zum 150. Jahrestag der hiesigen SPD hat er Brandts Duisburger Momente dokumentiert.
Im Juni 1960 sorgte Willy Brandt für die erste Begeisterungswelle in der Stadt: Damals in der Funktion des Berliner Bürgermeisters ließ er es sich nicht nehmen, den Grundstein für die Berliner Brücke in Duisburg zu legen. Was bei anderen Politikern zum öden Pflichttermin geraten wäre, bekommt unter Brandt Volksfestcharakter. Auf dem Rathausplatz jubeln ihm die Menschen zu, sein Besuch wird gefeiert wie ein Volksfest. Nur einen Monat später wird er von der SPD zum Spitzenkandidaten fürs Kanzleramt. Fotos aus den Archiven von Stadt und SPD belegen seinen Besuch – und erinnern an altes Flair.
„Eine boomende Arbeiterstadt“
„Duisburg war eine boomende Arbeiterstadt“, sagt Pietsch, „der Bau der längsten Straßenbrücke Deutschlands im Hafen passte sehr gut in die Zeit. Man erkennt alles, was sich seitdem geändert hat.“ Tausende Fotos hat Pietsch für eine Online-Fotostrecke zu 150 Jahren SPD in Duisburg gesichtet. Die Brandt-Bilder darunter sind auch für ihn etwas ganz Besonderes, weil er 1972 selbst zum Zeitzeugen wurde. „Ich war dabei, als er für eine Wahlkampfveranstaltung in die alte Mercatorhalle kam“, erzählt SPD-Mann Pietsch. „Da viel mehr Menschen gekommen waren als es Plätze in der Halle gab, griff Brandt zum Megafon und hielt schon draußen eine Ansprache. Das hatte Spontancharakter.“ Als SPD-Kanzler kam Brandt oft nach Duisburg, pflegte seine politischen Netzwerke, war Geburtstagsgast und - laut Pietsch - „eine richtungsweisende Führungsfigur für Duisburger Sozialdemokraten und ein guter Freund der Stadt.“
Dabei sei Brandt von den Duisburgern nicht johlend wie ein Popstar, sondern mit Achtung und Ehrfurcht begrüßt worden. „Es war den Leuten wichtig, ihn persönlich zu sehen“, erinnert sich der Historiker an die Kundgebung von 1972.
Der Blick zurück offenbart so manche Pointe, auch für Pietsch: „Ein Bild zeigt Brandt in der Hamborner Halle – hinter seinem Rücken lugt Günter Guillaume hervor, der Mann, der ihn später tatsächlich hinterrücks stürzen würde.“