Duisburg. . Glücksspielsucht ist keine Männerdomäne, aber Frauen sind in den Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen unterrepräsentiert. Zum bundesweiten Aktionstag gegen Glücksspielsucht erzählt eine Frau von ihrem langen Weg aus der Sucht.
Sie zockte an Automaten und im Internet, morgens, mittags und abends. Zockte zur Beruhigung, zum Druckabbau. Und am Ende spielte sie auch mit ihrem Leben. Diese Erkenntnis kam ihr allerdings erst, als sie in die professionellen Hände des Zentrums für Abhängigkeitserkrankungen in Duisburg-Rheinhausen kam. Als eine der wenigen weiblichen pathologischen Spielsüchtigen.
Hier hat Claudia vor wenigen Monaten mit einem neuen Leben begonnen. Für Notfälle hat die Mitt-Vierzigerin Scrabble auf ihrem Handy - „gegen den Spieldruck“. Denn sie weiß, „ich seh nicht so aus, aber ich bin total kaputt und krank“. Auch jetzt, während des Gesprächs mit der WAZ, ist das Verlangen da, in eine der umliegenden Spielhallen zu gehen. „Aber mein Sohn gibt mir Kraft“, erklärt sie. Der Junge müsste in eine Pflegefamilie, wenn sie beim Zocken erwischt würde. Das Jugendamt macht den nötigen Gegendruck.
Wie bei den meisten ist auch bei Claudia das Glücksspiel nur ein Symptom, nicht die Ursache. Eine schwierige Kindheit mit Scheidung, ignoranter Mutter, hilflosen Großeltern prägte die ersten Jahre. Ab dem zwölften Geburtstag lebte Claudia weitgehend auf sich allein gestellt. Ein Automat in einer Pommesbude, der ihr einige Glückssträhnen bescherte, wurde zum täglichen Freund. „Ich hab den Tornister zu Hause abgestellt und bin dann sofort zocken gegangen“, erzählt sie.
Spirale von Gewalt und Missbrauch
Mit 19 Jahren kam sie mit ihrem heutigen Ex-Mann zusammen. Ein Fehler, wie sie heute weiß. Dominant wie er war, verbat er Claudia, einen Beruf zu erlernen, verbat ihr, Freundschaften zu pflegen, sich zu schminken, auszugehen. Zwei Kinder sind in der von Gewalt geprägten Beziehung entstanden, einen erzwungenen Schwangerschafts-Abbruch hat sie bis heute nicht verwunden. Aus der Spirale von Gewalt und Missbrauch flüchtete sie in die Welt des Internetspiels. Poker war ihre Disziplin, professionell suchte sie nach schwachen Spielern, um sie auszunehmen, gewann mitunter täglich mehrere tausend Euro und setzte sie sofort wieder. „Das gibt ein ganz intensives Glücksgefühl“, erklärt sie, „man vergisst alle Sorgen“.
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Und das ist das Problem: Diese Gefühle brennen sich im Gedächtnis fest. Claudia spricht von Suchtgedächtnis und verknüpften Synapsen, die man nicht mehr auseinanderbringt. Sie weiß, dass sie für den Rest ihres Lebens dagegen angehen muss. Selbst beim Mau Mau-Spiel mit den Kindern. „Wir spielen zwei bis drei Runden und plötzlich krieg ich den Drang, dann bin ich nicht mehr ich selbst, dann muss ich weiterspielen.“
Um ihr Leben spielt sie jetzt nicht mehr in den Gewaltexzessen ihres Mannes, sie hat Anzeige erstattet. Alles andere ist ebenfalls angeleiert: Privat-Insolvenz, die Hoffnung auf einen beruflichen Neustart im pflegerischen Bereich, ein Praktikum. Neues Spiel, neues Glück? Nichts geht mehr? Doch, aber drauf wetten wird Claudia nicht.
Ein Drittel der Spielhallenbesucher ist weiblich
Bei Claudia steht bald eine stationäre Therapie an, die ihre Spielsucht, aber auch die traumatischen Erlebnisse in ihrem Leben aufarbeiten will. Bis dahin hilft Ulf Weidig ihr mit Einzelgesprächen durchs Leben, mit wöchentlichen Treffen mit der Selbsthilfegruppe. Der Sozialtherapeut weiß, dass gerade für Frauen das Spielen eine „Überlebensstrategie“ ist: „Sie erleben Schreckliches in privaten Beziehungskriegen, flüchten aus dieser Realität ins Spiel, beruhigen sich - und können dann ihr Leben fortsetzen.“
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Obwohl ein Drittel der Spielhallenbesucher weiblich sei, kommen maximal zehn Prozent der süchtigen Frauen in den Beratungsstellen an. Von 172 Spielsüchtigen, die in Rheinhausen 2012 behandelt wurden, waren 17 Frauen. Auch der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund steige, einer türkischstämmigen Frau hat Weidig in all den Jahren noch nicht helfen dürfen. Total-Abstinenz sei ohnehin nicht das erklärte Ziel, betont der Experte. Bei der Therapie gelte es, ein Krankheitsverständnis herzustellen, um Gefahrenmomente zu erkennen und ihnen aus dem Weg gehen zu können: „Einmal Spieler, immer Spieler.“