Duisburg. 429 Kinder werden in diesem Schuljahr mit einem Schulbegleiter an der Seite in die Klasse kommen. So soll verhindert werden, dass sie wegen einer Behinderung benachteiligt werden. Die Begleiter sollen die Kinder unterstützen. Doch der Genehmigungsprozess ist aufwändig und langwierig.

Jedes Jahr das gleiche Theater: Vor Schulbeginn stapeln sich die ungeklärten Fälle auf dem Schreibtisch von Rita Watermeier. Sie ist Koordinatorin für die Schul-Integration beim Verein für Körper- und Mehrfachbehinderte (VKM) und versucht, ein Puzzle aus 240 Teilen passend zu bekommen: 120 Schüler zwischen 6 und etwa 20 Jahren, die auf alle Schulformen zwischen Grundschule und Gymnasium verteilt sind, müssen mit dem passenden Schulbegleiter „gematcht“ werden. Dazu braucht die Sonderpädagogin viel Fingerspitzengefühl. Und Geduld.

Denn 30 Kinder haben aktuell noch gar keine Bewilligung, weil das Prozedere so zeitaufreibend ist, bedauert Anette Käbe, Geschäftsführerin des VKM. Bis zu vier Behörden seien an einem Fall dran - Jugendamt, Sozialamt, Schulamt, oft noch der Landschaftsverband und natürlich die Schule, bis feststeht, ob ein behindertes Kind für seine gleichberechtigte Teilhabe im Unterricht einen Begleiter benötigt. Der ganze Aufwand muss jedes Jahr aufs Neue betrieben werden von allen Anbietern der Schulbegleitung.

429 Schulbegleiter

Im letzten Schuljahr waren stadtweit 397 Schulbegleiter im Einsatz, im kommenden Jahr sollen es 429 werden, davon sind 76 Plätze noch offen. Die Begleiter sollen die Nachteile ausgleichen, die durch die Behinderung entstehen. Sie sollen das Kind also nicht fördern, sondern vielmehr vernünftige Rahmenbedingungen schaffen und Unterstützung bieten, je nach Grad der Behinderung etwa beim Toilettengang, beim Essen, bei der Organisation des Arbeitsplatzes und bei der Motivation. Da der Stundenlohn in vielen Städten unter zehn Euro liegt, reicht die Palette der Kräfte vom Rentner bis zum jungen Menschen im Freiwilligen Sozialen Jahr. Die Mehrheit sind Mütter, die selbst behinderte Kinder haben und keine Berührungsängste kennen.

Anette Käbe wundert sich, dass die Schulbegleitung bis heute nicht bundes- oder wenigstens landesweit geordnet ist: Keine Kostenbindung, kein Konzept, keine Vorgaben, sagt sie. Ganz zu schweigen von der Qualität. In manchen Bundesländern gebe es das Angebot nicht einmal. Zumindest in NRW könnte sich einiges ändern, wenn das Inklusionsgesetz in Kraft tritt. Das dauert aber noch, für September sind mehrere Beratungen im Schulausschuss des Landes terminiert.

Bei Schulstart noch nicht alle versorgt

Obwohl der VKM schon seit zehn Jahren Schulbegleitungen in Duisburg macht, sieht Käbe einen hohen Beratungsbedarf allerorten. Da gibt es Lehrer, die sich von einem weiteren Erwachsenen im Klassenzimmer beobachtet fühlen. Da gibt es Eltern, die die Helfer als verlängerten Arm betrachten, Schulleitungen, die Vorbehalte haben, Eltern gesunder Mitschüler, die Niveau-Einbußen im Unterricht fürchten. Käbe kennt das alles aus eigener Erfahrung. Ihr behinderter Sohn, der sie vor 20 Jahren zum VKM brachte, macht inzwischen eine Ausbildung. Die Erinnerungen an abweisendes Verhalten sind jedoch frisch. „Es ist ein ewiger Kampf mit Leuten, die glauben zu wissen, was für andere gut ist“, sagt Käbe, „deshalb laden wir gern alle ein, um ein Gefühl dafür zu bekommen, um wen es eigentlich geht“. Erst über die Begegnung könne Angst abgebaut werden.

Koordinatorin Rita Watermeier kämpft derweil, damit alle Kinder schnellstmöglich einen Begleiter bekommen. Den Schulstart werden viele alleine bewältigen müssen.