Als Sigmar Gabriel mit einer halben Stunde Verspätung vor dem Stadttheater aus dem Auto steigt, flachst einer an den aufgestellten Biergarnitur-Tischen: „Jetzt bekommt ihr wat vom Pferd erzählt.“ Als hätte der SPD-Chef den Spruch aus den gut 30 Metern gehört, will er derartige Urteile gleich vom Tisch wischen, kaum dass er das Mikro in der Hand hält: Dass „die Politiker ja doch alle nur das gleiche erzählen“, dem wolle er in der nächsten Stunde entgegen wirken.
Die SPD hat solche Auftritte derzeit nötig. Sie steckt weiterhin im Umfragetief, muss Boden gut machen, selbst in Duisburg, wo sie seit 1961 stets beide Bundestags-Wahlkreise gewonnen hat. Deshalb ist er heute hier, der gewichtige Bundesparteivorsitzende. Den direkten Dialog mit den Bürgern will Gabriel suchen, „auf Augenhöhe“.
Auf „Augenhöhe“
„Klartext Open Air“-Tour hat die SPD die Rundreise ihrer Bundesspitze genannt, sie ist so etwas wie ein Frage-und-Antwort-Spiel, für das die Partei ein riesiges Runddach über den König-Heinrich-Platz gespannt hat. Gabriel hat bei der Tour bereits Bonn, Jena, Gießen und Aachen hinter sich gebracht, ebenfalls unter diesem Runddach. Er weiß, dass das mit der Augenhöhe nicht immer einfach ist. Man weiß nie, was da überhaupt auf einen zukommt.
Doch der Parteichef beweist Übung darin aufgebrachte Bürger zu beruhigen und Aggressionen abzuwiegeln. Mit „Wat sachste?“ begegnet er Zwischenrufen, einem hitzköpfigen Fragesteller ruft er zu: „Ist ja gut, ich komme öfter her, dann können wir uns ausquatschen.“
Es geht nicht um die große Bundespolitik an diesem Abend, nicht um einen erneuten Schuldenschnitt für Griechenland oder die Steuerhinterziehung, die die SPD im Wahlkampf-Endspurt zum Thema machen will. Gabriel weiß, was vielen Duisburgern derzeit unter den Nägeln brennt, spricht die Problematik durch die Armutszuwanderung selbst an. Man müsse zusehen, dass „Nachbarschaften nicht auseinander fliegen“ und sich jeder „an die mitteleuropäischen Gepflogenheiten“ hält. Die betroffenen Städte könnten das Problem nicht alleine lösen: Der Bund sei mit Soforthilfen in der Pflicht, fordert Gabriel wie schon im April, als er sich in Rheinhausen und Hochfeld umgesehen hatte.
Womit die SPD sonst um Stimmen wirbt, kann Gabriel ohnehin fix zusammenfassen, bei ihm passt quasi das Wahlprogramm fast in einen Satz: „Wir müssen in die Bildung investieren, in die Finanzausstattung der Kommunen und in die Infrastruktur. Und wir müssen Schulden abbauen, dafür müssen wir diejenigen höher besteuern, die mehr verdienen.“
Wie einfach Politik funktioniert, auch das hat er schnell erklärt: „Wer sich zuerst bewegt, verliert.“ Bei den Kosten für die Grundsicherung, da habe er sich nicht bewegt. Vier Milliarden Euro hätten die Kommunen dadurch mehr. Am Verhandlungstisch seien am Ende nur er „und der Kauder“ übrig geblieben, „und der wollte früher ins Bett als ich.“
Nähe und Vertrauen
Es geht der SPD bei diesen Auftritten nicht um große Inhalte, räumen selbst die Wahlkämpfer am Infostand ein. Es geht um Nähe und um Vertrauen. Passend dazu fragt eine Rentnerin: „Wo soll ich die Glaubwürdigkeit hernehmen, wenn ich ständig etwas von Steuererhöhung höre und Sie hier aus dem dicken Auto steigen?“
Sein Auto sei auch sein Büro, manchmal schlafe er auch darin, er sei eben viel unterwegs, sagt Gabriel. Er werde gut bezahlt, aber gemessen an den Entscheidungen, die er treffen müsse, nicht zu hoch: „Ein Teil des Geldes ist Schmutzzulage.“ Dann lädt er die Rentnerin lang und breit ein, ihn eine Woche zu begleiten. Sie schlägt ein, sagt noch: „Da müssen Sie danach auch vier Wochen mit mir mit dem Fahrrad fahren.“ Ob das auch so einfach wird, ist fraglich.