Duisburg..
5773 Jahre in 90 Minuten, das erwartete die Leserinnen und Leser, die im Rahmen der Reihe „WAZ öffnet Pforten“ das Jüdische Gemeindezentrum am Innenhafen besuchten. Kurz vor dem jüdischen Neujahrsfest 5774 nahm sich Geschäftsführer Michael Rubinstein Zeit, um einen Einblick in die Geschichte der Religion, der Gemeinde und in den jüdischen Alltag zu geben. Die Gäste nahmen auf den Bänken in der Synagoge Platz.
„Was die meisten Duisburger über unser Gemeindezentrum wissen: Davor steht immer die Polizei“, sagt Michael Rubinstein. Doch was in dem beeindruckenden Gebäude mit den großen Sichtbetonflächen passiert, erfährt man erst, wenn hinter der verspiegelten Pforte ein Knöpfchen gedrückt und Einlass gewährt wird. Dass die Polizei stets ein Auge auf das Gemeindezentrum hat, sei von den Behörden gewünscht. „Ist die Gefahr so groß?“, fragt Rubinstein in die Runde und gibt gleich die Antwort aus seiner persönlichen Sicht: „Nein. Aber wenn man weiß, dass es eine Terrorwarnung gab, weil jüdische Einrichtungen in NRW Anschlagsziele sein sollten, kann man diese Einschätzung verstehen. Es gibt noch immer Menschen, die kein jüdisches Leben in Deutschland wollen.“
Im Judentum gibt es 613 Pflichten
Doch das gibt es, und sogar in größerer Zahl, als die Besucherinnen und Besucher vermuten. 10.000, 50.000, 80.000 Jüdinnen und Juden gebe es in Deutschland, so die Schätzungen der Leser. „102.000 sind in Gemeinden organisiert, man geht aber insgesamt von rund 250.000 jüdischen Menschen aus“, erklärt Rubinstein. 2700 kommen in der Duisburger Gemeinde zusammen, die auch noch Mülheim und Oberhausen abdeckt. Nun, eigentlich kommen sie nicht zusammen. „Auch nicht 270“, sagt Rubinstein mit Blick auf die Gottesdienste. „Es ist in diesem Punkt bei uns nicht anders als in den christlichen Gemeinden. Aber Rabbiner Strasko, der aus Amerika zu uns gekommen ist, sorgt schon für Belebung.“
Ohnehin würde man im Judentum, sagt Rubinstein scherzhaft, lieber feiern als beten. „Das sieht man an unserem Festsaal, der größer ist als die Synagoge.“ Gründe dafür gebe es genug. Rubinstein erzählt von der Geburt, von Bar- und Bat-Mizwa, der religiösen Mündigkeit von Jungen und Mädchen, von Hochzeiten – aber auch vom Tod. 613 Pflichten gibt es im Judentum. Die werden heute modern ausgelegt, erklärt Rubinstein. „Man weiß, wie man sie interpretiert, um sie praktikabel zu machen.“ Weil am Schabbat keine elektrischen Geräte genutzt werden dürfen, somit auch nicht die Bedienfelder von Aufzügen, halten diese beispielsweise in großen Hotels eben von allein auf jeder Etage – zuvor programmiert, ohne Knopfdruck am Ruhetag. Und auch für jüdische Vorschriften, deren Sinn sich heute nicht erschließt, gebe es eine gute Erklärung: „Das ist dann eben Tradition.“