Duisburg. Vor einem Monat überwältigten Mitarbeiter des „.Delta Musik Park“ den mutmaßlichen Autoknacker Abdelmajid O.. Zwei Tage später starb der 26-Jährige. Während den Hinterbliebenen viele ungeklärte Fragen keine Ruhe lassen, beklagt der Betreiber der Disko Mord- und Bombendrohungen. Die sieben Beteiligten hat er von ihrer Arbeit freigestellt. O.s Familie verzichtet aus Angst vor Ausschreitungen auf eine Trauerfeier an der Großraumdisko.
Wenn die Schwester Abdelmajid O.s im sozialen Netzwerk Facebook liest, wie der Tod ihres Bruders die Menschen bewegt, ist die 25-Jährige gerührt – häufig aber auch erschrocken. Denn unter die Trauer mischen sich im Internet Vorverurteilungen, Beschimpfungen und Gewaltaufrufe.
Andere Nutzer wiederum reagieren darauf mit Vorwürfen gegen den mutmaßlichen Autoknacker O., ihre Antworten zeugen nicht selten von Fremdenhass. Abdelmajid O. wurde am 21. April von mehreren Mitarbeitern der Großraumdisko „Delta Musik Park“ auf dem Parkplatz der Disko überwältigt und fixiert, er kollabierte. Zwei Tage später starb der Marokkaner im Alter von 26 Jahren in einer Wuppertaler Helios-Klinik. Die Trauerfeier in Bruckhausen sollen zwischen 1500 und 2000 Menschen besucht haben.
Viele seiner Verwandten und Freunde, viele Menschen im Duisburger Norden vermuten zumindest eine Mitschuld der Delta-Angestellten am Tod O.s, einige empfinden Ungerechtigkeit und werfen den Strafverfolgungsbehörden Untätigkeit vor. „Polizei reanimiert Autoknacker“, hatte die Polizeipressestelle nach dem Einsatz in Beeck mitgeteilt.
Am Tag nach der Obduktion meldete sie, der 26-Jährige sei an seinem Erbrochenen erstickt. Der ausführliche Bericht der Gerichtsmediziner liegt noch nicht vor, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mehrere Mitarbeiter der Großraumdiskothek wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Der Leitende Staatsanwalt ist Anfang Juni wieder im Dienst, „die Akte ist zurzeit bei einer Untersuchung“, erklärt sein Stellvertreter. Er bittet um Geduld.
Im Internet verurteilen Facebook-User die Tatverdächtigen unter tausendfach geteilten und empfohlenen Stellungnahmen und Zeugenaufrufen schon jetzt: „Mord!“. Auch der bekannte Duisburger Gangsta-Rapper Majoe, der beim Plattenlabel „Banger Musik" des bekannten Szenestars Farid Bang unter Vertrag steht, hat ein Foto „unseres Freundes Abdel-Majid“ gepostet und so an seine mehr als 46.000 Facebook-Fans weitergeleitet. Auch er ruft zum Boykott des „Delta Musik Park“ auf, schreibt von einem „Riesen-Skandal“.
Hinterbliebene sagen Trauerfeier aus Angst vor Ausschreitungen ab
Der Betreiber der Diskothek, Hans-Bernd Pikkemaat, hat die sieben Beteiligten vom Dienst freigestellt – „zu deren eigener Sicherheit und auf Anraten der Polizei“, wie er sagt. Er berichtet von andauernden Bomben- und Morddrohungen gegen das Delta und sein Personal, „die Polizei ist informiert und beobachtet das“. Abdelmajid O.s Hinterbliebene haben eine für den 1. Juni angedachte Trauerfeier aus Angst vor Ausschreitungen fremder Teilnehmer abgesagt. Die Schwester des Verstorbenen appelliert an all jene, die im Netz zu Gewalt und Selbstjustiz aufrufen, friedlich und besonnen zu trauern – und das Ergebnis der Ermittlungen abzuwarten.
Dabei leiden sie und ihre Familie besonders. „Die Ungewissheit, wie mein Bruder ums Leben kam, macht unsere Trauer noch unerträglicher“, sagt die 25-Jährige. „Es gibt so viele Fragen und Widersprüche.“ Auf Facebook haben sie und ihre Familie Anfang Mai eine Seite eingerichtet, über die sie Zeugen der tödlichen Auseinandersetzung suchen. Dort veröffentlichten sie auch Fotos, die ihnen zugespielt wurden. Die Bilder zeigen O. kurz nach seiner Einlieferung in die Hamborner St. Johannes Klinik. „Als ich die Bilder das erste Mal sah, ist mein Bruder für mich noch einmal gestorben“, sagt seine Schwester. „Und es schmerzt uns sehr, dass alle Welt ihn nun so sehen kann, aber wir mussten die Fotos posten, um zu zeigen: Da ist was faul!“ Die Pressestelle der Polizei hatte gemeldet: „Im Rahmen der Obduktion am 25.04.2013 konnten bei dem Verstorbenen keine Anzeichen äußerer Gewalteinwirkung festgestellt werden.“
Das hatte auch Anwältin Maria Deimel irritiert. Sie vertritt die Familie und hat Einsicht in den medizinischen Bericht des Krankenhauses. Dort sind „Schnittverletzungen“ an den Beinen und zahlreiche Hämatome an den Armen dokumentiert. Auf den schockierenden Fotos hat M. eine Platzwunde auf der rechten Wange, einen Riss unter der Augenbraue, seine Augenhöhle ist blau, seine Lippe dick, sein rechtes Ohr geschwollen. Sein Gesicht ist stark verschmutzt. Der Patient hat Gras im Mund, obwohl er nach Polizeiangaben erst kurz zuvor wiederbelebt wurde. Er sieht aus wie ein Prügelopfer. Auf die fotografierten Verletzungen angesprochen, wollte Polizeisprecher Ramon van der Maat die polizeiliche Bekanntgabe des Obduktionsergebnisses vom 25. April „ergänzt, nicht korrigiert“ wissen: „Präziser wäre gewesen: Der Mann hatte keine äußerlichen Verletzungen, die todesursächlich waren.“
Jeans trotz Schnittverletzungen am Bein ohne Blutspuren
Nach Angaben van der Maarts habe sich der Überführte „heftig gewehrt, daher die Hämatome an den Armen“. Um den auf frischer Tat Ertappten zu bändigen, so der Sprecher, sollen ihn die Delta-Mitarbeiter zu Boden gebracht und sich auf seinen Rücken gekniet haben. Zeugen der Auseinandersetzung gibt es jedoch anscheinend nicht, den Ermittlern liegen wohl nur die Aussagen der Beteiligten vor. Und die teilweise zehn Zentimeter langen Schnittverletzungen? Der 26-Jährige sei in einen Dornenstrauch gefallen, erklärte der Polizeisprecher dazu. Auch das will die Schwester des mutmaßlichen Autoknackers nicht glauben, Anwältin Deimel stellt es ebenfalls in Frage. Was beide beispielsweise nicht verstehen: O. trug eine schwere Jeans, die Hose ist nicht verschmutzt. Blutspuren sind darauf nicht zu erkennen. „Wie kommen dann die Schnitte an seine Beine?“, fragt sich seine Schwester.
Es ist nicht die einzige Frage, die ihr keine Ruhe lässt. Weitere lauten – unter anderen:
Die Fragen der Hinterbliebenen und die Sicht des Delta-Betreibers
„Warum hat die Polizei mir nur seine Jacke und seine Hose ausgehändigt, nicht aber sein Oberteil und seine Unterwäsche? Warum waren sieben Personen notwendig, um meinen Bruder zu überwältigen, obwohl er doch nur 60 Kilogramm schwer und 1,65 Meter groß war? Warum wurde er bewusstlos, bevor die Polizisten eintrafen? Warum musste er auf dem Parkplatz wiederbelebt werden? Warum musste er sich übergeben? Warum wurde er angeblich um 3.15 Uhr erwischt, aber erst über eine Stunde später im Krankenhaus um die Ecke eingeliefert? Warum hat uns niemand vom ‚Delta Musik Park’ auch nur sein Beileid ausgesprochen?“
Der Delta-Betreiber Hans-Bernd Pikkemaat behauptet zumindest, er habe muslimische Mitarbeiter zur Trauerfeier geschickt. „Dieses tragische Unglück hat doch niemand gewollt“, sagt er. „Wir bedauern das außerordentlich.“ Seine nun verdächtigten Mitarbeiter hätten ihm berichtet, in jener Sonntagnacht habe O. ein Auto aufgebrochen, eine Damenhandtasche aus dem Wagen gestohlen und flüchten wollen. Als seine Mitarbeiter den 26-Jährigen stellten, habe er sich mit einer „unwahrscheinlichen Energie“ und „wie ein Wilder gewehrt“, so Pikkemaat.
„Wer von den sieben Leuten aktiv war, weiß ich auch nicht“
Er betont die Vorgeschichte der Aktion: „Im letzten Halbjahr haben sich über 100 Gäste bei uns gemeldet, deren Auto aufgebrochen wurde. Aber unsere Parkplatzeinweiser konnten den Täter in der ganzen Zeit nicht erwischen.“ Auch die Polizei ermittelte auf dem Parkplatz an der Autobahn 59, der etwa 800 Stellplätze groß ist. Dort, so Pikkemaat, seien am Wochenende „immer zwei, drei Parkplatzeinweiser von 22 bis 2 Uhr im Dienst“. Zuletzt hätten sich die vier beschäftigten Einweiser selbst Vorwürfe gemacht, weil sie die Aufbruchserie nicht beenden konnten.
Darum seien in der Nacht auf den 21. April nach zwei Uhr auch alle vier Mitarbeiter des „Parkplatzeinweisedienstes“, drei Männer und eine Frau, freiwillig im Dienst geblieben. Darüber hinaus habe die Disko drei weitere Freiwillige auf den Autoknacker angesetzt, darunter „einen Bühnenordner und einen Gläsersammler“, so ihr Chef. „Zwei haben sich in der Nacht in den Büschen versteckt, der Dritte hat den Parkplatz mit einem Nachtsichtgerät beobachtet.“ Laut Polizeibericht sollen sie Abdelmajid O. „gegen 3.15 Uhr“ gestellt haben, so haben sie es den Ermittlern also seinerzeit berichtet. Pikkemaat: „Die beiden, die ihn fangen sollten, waren schon etwas kräftiger.“ Der 58-Jährige versichert, beide seien "keine Türsteher, haben aber auch Sicherheits-Lehrgänge besucht. Das sind keine Laien gewesen.“ Ob sie den schmächtigen Tatverdächtigen fixiert haben? „Wer da jetzt von den sieben Leuten aktiv war, weiß ich auch nicht.“
Das wissen wohl nur die beteiligten Delta-Mitarbeiter selbst. Auch sie wurden von den Ermittlern bereits dazu befragt, was sich in jener Nacht auf dem Parkplatz zugetragen hat, bevor die alarmierten Polizisten dort eintrafen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter wegen Körperverletzung mit Todesfolge. „Wir werden dazu sicher Stellung beziehen“, sagt der Stellvertreter des Leitenden Staatsanwaltes, „wenn das Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist.“ Zumindest bis dahin bleibt die Frage unbeantwortet, wie genau Abdelmajid O. ums Leben kam.