Die komplette Evakuierung eines Hospitals ist ein logistischer Drahtseilakt. Alles muss minutiös geplant sein. Alle Helfer müssen kräftig mit anpacken. Und alle Patienten und Personalkräfte müssen wissen, was beim Verlassen des Hauses zu beachten ist. Im Malteser Krankenhaus St. Anna, das in unmittelbarer Nachbarschaft zum Fundort der englischen Weltkriegsbombe in Huckingen liegt, wurde dieses Mammut-Projekt gestern gestemmt. „Und das ohne größere Probleme oder Zwischenfälle“, wie Krankenhaus-Sprecherin Annette Debusmann feststellte. Ihre Stimme klang nach diesem Tag des Ausnahmezustandes für das Haus gleichermaßen erleichtert wie erschöpft.
Kurz nachdem klar ist, dass da in unmittelbarer Nachbarschaft keine gusseiserne Wanne, sondern doch wie befürchtet ein Blindgänger im Boden liegt, läuft der Apparat an: Wie im Vorfeld geplant, machen die zehn Hospiz-Bewohner den Anfang. Sie werden mit zwei Krankentransportwagen in den Aufwachraum der Intensivstation gebracht, der im Hauptgebäude des Hospitals liegt. Dort dürfen sie sich nach Absprache mit den Bombenexperten ebenso während der Entschärfung aufhalten wie die Patienten der Intensivstation. Addiert sind dies 30 Erkrankte, die von etwa genauso vielen Ärzten und Pflegern während der folgenden Stunden betreut werden. „Wir hatten in der Nacht noch eine Neuaufnahme für die Intensivstation“, berichtet Dr. Irene Roth, Leitende Oberärztin und Katastrophenschutzbeauftragte des Hauses. Die Frau sei mit Herzproblemen eingeliefert worden. Auch sie bleibt trotz der Entschärfung hier.
Fünf Transportzüge mit 50 Wagen
Die 115 Bewohner des Altenheims St. Hedwig sind dran: Sie werden auf andere Malteser-Häuser im Umkreis verteilt und per Bus dorthin chauffiert. Es folgen: die „normalen“ Krankenhaus-Patienten. Jeder einzelne wird auf einer Liste registriert. Wer kommt in welchen Transportwagen und wird von wem wohin gebracht? Jeder Transport wird schriftlich erfasst. Das Ausfüllen der Bögen übernehmen Uwe Bußmann und seine Kollegen von der Freiwilligen Feuerwehr Bergheim/Oestrum. Gegen 11.30 Uhr stehen bereits 51 Namen von Patienten auf einer Liste, die in einem Rettungswagen liegend davonfahren. Insgesamt werden es 100 Patienten sein, von denen 40 in die BGU nach Buchholz und 60 ins St.-Joseph-Hospital nach Krefeld kommen.
Rund 50 Rettungswagen von Feuerwehr, ASB, Johannitern, Maltesern und der Feuerwehr fahren auf Anforderung per Funkgerät einzeln vor. Ihre Sammelstelle ist der nahe gelegene Edeka-Parkplatz am Rande der Düsseldorfer Landstraße. „Wir haben fünf Patiententransportzüge mit 100 Kräften im Einsatz. Sie kommen aus Krefeld, Oberhausen, Mülheim, Remscheid und Solingen“, sagt Josef Rönchen (62), Löschzugführer bei der Freiwilligen Feuerwehr. Mit 24 Kollegen aus Duisburg hat er den so genannten Bereitschaftsraum eingerichtet. „Die eigentliche Evakuierung übernehmen aber nicht wir Duisburger, sondern ausschließlich externe Kräfte“, sagt er.
Reinhold Stausberg (54) steht mit neongelber Weste auf der Remberger Straße und weist den permanent ankommenden Rettungswagen per Handzeichen den Weg zum Haupteingang. Im Alltag ist er der Hausschreiner des Hospitals. Heute ist er einer der vielen Helfer.
Um 13.35 Uhr wird die letzte Patientin in ihrem Bett herausgeschoben. Es ist eine ältere Dame mit einem Oberarmbruch. Das Haus ist bis auf besagte Ausnahmen nun leer. Teil eins ist geschafft: die Evakuierung. Teil zwei beginnt direkt nach der Entschärfung: die Rücktransporte aller Betroffenen. Auch die klappen bestens. Als letzte kehren die Hospiz-Bewohner in ihre vertrauten Räume zurück. Und um 19 Uhr scheint es so, als ob in St. Anna niemand jemals weg gewesen wäre.