Düsseldorf/Duisburg. . Mit Hunderttausenden Dokumenten zieht das Landesarchiv 2014 in den Neubau am Duisburger Innenhafen. Schon seit Jahren laufen dafür die Vorbereitungen.

Nein, mit einem normalen Umzug wird das nichts zu tun haben. Da genügen keine burschikosen, kräftigen Träger, auch keine farbigen Punkte auf den Kartons für Wohnzimmer, Keller oder Küche und das Know-how des Spediteurs um die Ecke: Wenn das „Gedächtnis“ Nordrhein-Westfalens, das Landesarchiv, 2014 in den Speicherkoloss am Innenhafen umzieht, gelten andere Maßstäbe, andere Regeln. Andere Dimensionen. Kein Wunder, allein 230 000 Bücher, 700 000 Bilder und knapp 100 Regal-Kilometer Akten und Amtsbücher, die lassen sich nicht mal eben in Umzugskartons packen und im Lkw verstauen.

Seit Jahren schon bereiten sich die Abteilung Rheinland des Landesarchivs und ihr Abteilungsleiter Dr. Frank Michael Bischoff auf das in Deutschland einmalige Szenario vor, dass das größte Archiv der Republik umzieht. „Das ist schon eine Herausforderung“, meint Bischoff in einer Mischung aus Stolz und Stress.

Dabei ist das anvisierte Zielergebnis eigentlich einfach: „Ich will hinterher in Duisburg nichts suchen müssen“, sagt Bischoff unmissverständlich. Ganz der Archivar. Jede Stecknadel im Heuhaufen wäre auch leichter wiederzufinden als eine falsch abgelegte Akte in einem der 21 Stockwerke des neuen Archivs in dem wuchtigen Betonturm.

Also ist Vorbereitung alles. Im EDV-System ist der Umzug praktisch schon virtuell vollzogen, das neue Archiv bereits im Computerprogramm einsortiert. Sei es das Kirchenbuch aus Kurköln, die landesherrlichen Verordnungen von 1782 oder eine der 106 473 Zweitschriften der Zivilstandsregister: Bischoff weiß jetzt schon (nicht im Kopf, aber am PC abrufbar) wo, in welchem Stockwerk, in welchem Regal, ja in welchem der 150 000 Regalbretter jede einzelne Akte oder Urkunde liegen wird. Die Logistik eines Großdiscounters ist da geradezu Küchenkammerlatein gegen die Magazinverwaltung des Landesarchivs.

Auf gerade mal fünf Etagen verteilt sich das Landesarchiv mit seinen Beständen derzeit noch in Düsseldorf. Weitere Standorte im Land werden in Duisburg gebündelt. Dazu ist das Archiv „Aufbewahrungsort“ für alles, was wichtig und erhaltenswert aus den Landesministerien und Behörden ist. Auch die Verfassungsurkunde NRW wird hier gehütet. In Duisburg wird der Platz wohl für die nächsten Dekaden reichen, auch wenn jedes Jahr ein weiterer Kilometer Archivmaterial hinzukommt.

Von „unten nach oben“ wird sich der 77 Meter hohe Archiv-Koloss füllen, wenn der Umzugstross ab Beginn 2014 nach Duisburg rollen wird. Wochen wird das dauern. Nicht in braune Umzugskartons wird das Archivgut verpackt, sondern in Container-Wagen, die mit Stretch-Folie gegen Regen und Schmutz umwickelt werden. Klimatisierte Lkw werden die kostbare Fracht nach Duisburg schaffen – die „Klimakette“ darf nicht unterbrochen werden. Das historische Filmmaterial kommt sogar in Kühlwagen. Glasnegative werden buchstäblich in Watte gepackt. Und besonders wertvolle Urkunden wie ein Diplom des Kaisers Ludwig des Frommen von 821 als ältestes Bestandsstück oder mittelalterliche, kiloschwere Folianten gelangen mit Sonderfahrten nach Duisburg.

Dort müht sich der Bauherr, der landeseigene Baubetrieb, darum, für den künftigen Mieter und seine etwa 120 Mitarbeiter die „Bleibe“ herzurichten. Das heißt vor allem derzeit für das richtige Klima zu sorgen. Die großen Lüftungsanlagen unter dem Spitzdach des Turmes arbeiten daran, das gänzlich fensterlose Archivgebäude auf den geforderten Standardwert von 18 bis 20 Grad Temperatur und eine stabile Luftfeuchtigkeit von 45 Prozent zu bringen. Da dürfen keine Türen offen stehen, sollen sich tunlichst wenig Menschen aufhalten, die das empfindliche Raumklima stören.

Penibel sind auch andere Werte einzuhalten: Die Böden der Stockwerke dürfen maximal ein Gefälle von einem Millimeter auf zehn Meter aufweisen. Da ist Statik de luxe gefordert, wenn tonnenschwere Last auf den gegossenen Betonflächen ruhen soll. Doch die perfekte Ebene muss sein, wenn die maßgefertigten Roll-Regalwände leichtläufig auf Schienen über Drehkreuze mit leichter Hand hin und her geschoben werden sollen.

Und das müssen sie öfter. Zur Archivverwaltung und für die rund 5000 Besucher, die das Landesarchiv derzeit in Düsseldorf im Jahr zählt. Schüler, Studenten, Wissenschaftler, Privatpersonen auf Ahnensuche oder Behörden in offizieller Mission lassen sich über die Findbücher Akten und Urkunden aushändigen. „Wir verstehen uns als offenes Haus der Geschichte“, betont Pressesprecher Dr. Andreas Pilger. Eingerichtet wird der große Lesesaal in der „Schlange“, dem wellenförmigen Anbau des Speichergebäudes. Dort soll es auch Ausstellungs- und Veranstaltungsräume geben.

Zum „Tag des Archivs“ im März 2014 Jahres werden noch gewiss nicht alle 150 000 Regalbretter mit Büchern, Akten und Zehntausenden Kartons gefüllt sein, doch den Termin hat Bischoff für einen Publikumstag im Kalender vermerkt. „Das ist schon ein monumentaler Bau und ein schönes Gebäude. Und der Blick von oben über Duisburg ist wunderbar“, sagt er. Ein Jahr noch, dann ist Bischoff täglich vor Ort.