Manchmal fühlt es sich an, als habe jemand das ganze Leben in einen Topf tintenschwarzer Dunkelheit getaucht. Manchmal ist nah so weit weg. Manchmal sind alle anderen klug und witzig und unkompliziert, nur man selbst funktioniert einfach nicht. So sieht sie aus: die Depression. Gesunde können sie nicht verstehen, „stell dich nicht so an“ sagen sie.

Die Räume des Bündnisses gegen Depression in Duisburg scheinen all das geben zu wollen, was die Depression den Erkrankten stiehlt. Licht, Wärme, Leichtigkeit. Heller Holzfußboden, hohe Decken, an den Wänden quadratische Bilder mit farbigen Mustern, aus denen ein warmer Gelbton besonders hervorstrahlt.

Dr. Albert-Franz Ernst, Vorsitzender des Bündnisses, und die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Beatrix Karen engagieren sich ehrenamtlich für den Verein, klären über die Krankheit auf und helfen Betroffenen.


NRZ: Woran erkenne ich, ob ein Kind „nur“ traurig, oder schon depressiv ist?
Beatrix Karen:
Nicht jedes Traurigsein ist der Beginn einer Depression. Gerade in der Pubertät, wenn die Hormone verrückt spielen, sind viele unterschiedliche Stimmungsbilder zu erkennen. Entscheidend ist, ob eine Niedergeschlagenheit über einen längeren Zeitraum anhält, ob über Wochen kein Appetit mehr da ist, schlecht geschlafen wird und emotionale Veränderungen stattfinden.

Welche Veränderungen sind das?
Karen:
Kinder beginnen ohne offensichtlichen Grund plötzlich zu weinen, haben Bauchschmerzen, sind tagmüde und können sich nicht konzentrieren, so dass schließlich auch die Leistungen in der Schule nachlassen. Es ist nicht nur eine Sache, sondern mehrere Einzelteile, die letztendlich ein Gesamtbild ergeben.

Was sind die Ursachen?
Karen:
Trennung der Eltern. Der Tod eines Angehörigen kann eine Depression verursachen. Oder der erste Liebeskummer.

Und Mobbing?
Karen:
Das wird zwar gerne gesagt, aber oft steckt etwas anderes dahinter, das nur noch nicht gesehen wurde. Das Mobbing verstärkt die Probleme des Kindes dann nur.

Aber nicht jedes Kind, das eine Trennung oder einen Todesfall in der Familie erlebt, wird depressiv...
Karen: Es kommt auf die persönlichen Ressourcen an. Es gibt Kinder, die haben gelernt, mit solchen Verlusten umzugehen. Andere können das nicht.
Albert Ernst:
Oft hängt es auch davon ab, wie das Kind aufgefangen wird. Wenn es in stabilen Familienverhältnissen lebt, ist die Gefahr einer Depression geringer, als wenn es auch noch zusätzliche Familienprobleme gibt.
Karen:
Es ist wichtig, dass das Kind vertraute Personen hat und positive Beispiele, an denen es sich orientieren kann.

Wie ist die Zunahme von depressiven Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen zu erklären?

Karen:
Die psychische Belastung in der Gesellschaft ist generell größer geworden. Viele Erwachsene reagieren psychosomatisch. Und diese Erwachsenen haben oft Kinder, die wiederum dann ein hohes Risiko einer psychischen Erkrankung haben.
Ernst: Eine genetische Vererbung scheint es zwar nicht zu geben – obwohl auch das immer wieder diskutiert wird – aber man kann von einer Art „psychologischen“ Vererbung sprechen.
Karen:
Wenn die Kinder nicht lernen, wie man sich mit Verlust oder Abneigung anderer auseinandersetzt weil die Eltern das schon nicht können, entstehen Schwierigkeiten.

Die Fallzahlen in Deutschland haben sich seit dem Jahr 2000 verdreifacht...

Ernst:
Man darf dabei aber nicht vergessen, dass auch die Sensibilität für derartige Erkrankungen gestiegen ist. Es hat nicht nur die Erkrankung zugenommen. Vielleicht 30 Prozent des Anstiegs sind auch darauf zurückzuführen, dass die Diagnostik besser geworden ist, und dass Tabus und Ängste weniger geworden sind. Karen: Auch die Aufmerksamkeit der Helfer in Schulen, Kindergärten, Sportvereinen ist gestiegen.

Und wie reagieren die Eltern?
Karen:
Die Schuldfrage steht da ganz oben. Eltern sagen sich dann: „Ich habe mein Kind krank gemacht“ oder: „Ich bin keine gute Mutter“. Oft merkt man im Gespräch, das auch Vater oder Mutter therapeutisch begleitet werden müssten. Aber Eltern sind nicht schuld, dass Kinder jetzt diese Störung haben und Kinder sind nicht schuld, dass Eltern sich verändert haben. Diesen Zündstoff muss man rausnehmen. Wenn das gelingt, verändert sich zu Hause schnell etwas, weil alle ganz intensiv daran arbeiten.

Wie stehen denn für Kinder die Chancen auf einen Therapieplatz?
Ernst:
Für Kinder ist es in Duisburg ganz besonders schwierig, einen Therapieplatz zu finden. Es gibt nur drei niedergelassene Kinderpsychiater und 13 Kinder- und Jugendpsychotherapeuten.
Karen:
Viel zu wenig für so ein großes Stadtgebiet! Es kommen ja auch Patienten aus Mülheim, Dinslaken, Moers, Neukirchen-Vluyn, …
Ernst:
Man ist im Rahmen dieser Symptomatik isoliert und fühlt sich wie ein Exot. Die empfinden das im Alltag so: „Das bin nur ich, alle anderen sind anders.“ Das Krankheitsbild verschlechtert sich natürlich noch, wenn ich im luftleeren Raum hänge und keine Perspektive habe.