Duisburg. Seit fast zehn Jahren läuft das Insolvenzverfahren der Rheinhauser Firma Haustadt und Timmermann. Plötzlich erfährt die Belegschaft: Ihre Ansprüche aus dem vier Millionen Euro schweren Sozialplan sollen verjährt sein.

Zehn Jahre lang haben 640 Mitarbeiter auf ihre Abfindung gewartet, jetzt sollen sie leer ausgehen: Als die alteingesessene Firma Haustadt und Timmermann aus Rheinhausen im August 2003 Pleite machte, wurde wie üblich ein Sozialplan vereinbart. Summe der Abfindungen: mehr als 4,1 Millionen Euro. Das Insolvenzverfahren zieht sich wie Kaugummi. Doch jetzt, zum Jahreswechsel, erreichte die ersten der ehemaligen Beschäftigten die Nachricht: Ihre Ansprüche sollen längst verjährt sein.

„Wir fühlen uns betrogen“, sagt Frank Rehe. Er steht vor dem Tor der Firma, für die er 20 Jahre lang gearbeitet hat. Ganze vier Hausnummern nimmt der Komplex mit seinen Büros und Hallen ein, der kurz nach der Pleite verkauft wurde. Als Personalleiter kannte Rehe fast alle der zuletzt 640 Mitarbeiter, jetzt rufen ihn viele der alten Kollegen an. „Sie hoffen, dass der Rehe etwas weiß“, sagt Rehe. Er weiß einiges, steht der plötzlichen Verjährung aber genauso kopfschüttelnd gegenüber wie seine ehemaligen Kollegen. „Der Insolvenzverwalter hat uns jahrelang im Glauben gelassen, dass alles läuft. Wir haben uns zurückgelehnt und gewartet. Dass der jetzt so etwas ausgräbt, ist jenseits von Gut und Böse.“

22,7 Millionen Euro an Insolvenzmasse zu verteilen

In der Tat gab es bislang wenig Anlass zur Skepsis. Der Insolvenzverwalter ist kein Unbekannter: Die Krefelder Kanzlei von Dr. Helmut Schmitz hat mehr als eintausend Firmenpleiten abgewickelt, darunter die der Götzen-Baumärkte, in Duisburg zum Beispiel auch die der Betreibergesellschaft des Musicals „Les Miserables“, für das eigens das Theater am Marientor gebaut wurde. Dickster Fisch auf der langen Liste ist jedoch die Insolvenz des mächtigen Babcock-Konzerns, die herausgelöste und an Hitachi verkaufte Kraftwerkssparte residiert am Innenhafen. Auch um die Insolvenz der Firma Haustadt und Timmermann kümmert sich der heute 72-jährige Senior-Chef selbst. In den halbjährlichen Berichten informiert er Belegschaft wie Gläubiger über den Stand des Verfahrens, auf einer passwortgeschützten Internetseite kann sich jeder Beteiligte einen Überblick verschaffen.

Die Firma Haustadt und Timmermann - Anfang und Ende

Der erdverlegte Rohrleitungsbau war das Geschäft des 1928 gegründeten Unternehmens, das an der Bergheimer Straße hinter dem Fegro-Großhandel im Ortsteil Bergheim seinen Hauptsitz hatte. Bis zu 1000 Mitarbeiter sollen es in der Hochphase gewesen sein, als die bundesweit agierende Firma vom subventionierten Aufbau im Osten profitierte. Im Umkreis verlegten die Mitarbeiter Rohrleitungen vor allem für Kommunen und Stadtwerke, im angrenzenden Ausland Gaspipelines.

2001 kam die erste Flaute, eine Landesbürgschaft sicherte den Weiterbetrieb, 2003 dann das Ende. „Da sind Tränen geflossen“, erzählt Frank Rehe.

Dass der Betrieb damals dicht machen musste, sieht Rehe in den „Fehlern des Managements“ begründet. Die kritisierte auch die Gewerkschaft IG Bau, als “H&T“ in die Pleite schlitterte: Die Belegschaft habe alles für den Erfolg getan, sei auf flexible Arbeitszeitkonten eingegangen und mit Wohnwagen zur Montage gefahren, als der Geschäftsführer sie durch die Gegend geschickt habe.

Seit Jahren stellt Schmitz dort die Auszahlung und einen zeitnahen Abschluss in Aussicht: Die Forderungen aus dem Sozialplan könnten vermutlich zu einer Quote von 58 Prozent befriedigt werden, schrieb Schmitz noch im Juni 2012. Mit dem Abschluss des Verfahrens rechne er in der zweiten Jahreshälfte 2012. „Wir haben uns keine Sorgen gemacht“, sagt Rehe. Der Topf, das war lange klar, ist gefüllt. 31,8 Millionen Euro konnte der Insolvenzverwalter seit 2003 noch durch Verkäufe einnehmen, rund 22,7 Millionen Euro hat er jetzt als Insolvenzmasse zu verteilen.

Streit um die Verjährungsfrist

Dass die Belegschaft leer ausgehen soll und die Gläubiger den Anteil bekommen, teilt Schmitz dem Insolvenzgericht dann vor anderthalb Monaten mit: Die Sozialplanforderungen von 4,1 Mio Euro seien „aufgrund eingetretener Verjährung nicht mehr zu berücksichtigen“. Hintergrund ist ein Gesetz, nach dem die Verjährungsfrist von 30 auf drei Jahre verkürzt wurde. „Das Gesetz wurde aber bereits 2002 geändert, also vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Darauf hatte der Insolvenzverwalter aber bis zuletzt nie hingewiesen“, kritisiert Rehe.

Sein Anwalt Christian Puhr-Westerheide sieht aus einem anderen Grund gute Chancen: „Die Verjährung kann in diesem Fall keinen Bestand haben. Zum Beginn einer Verjährungsfrist gehört die Klagbarkeit. Diese Möglichkeit ist während der Dauer des Insolvenzverfahrens aber nicht gegeben. Dazu muss die Forderung vom Insolvenzverwalter erst einmal bestritten werden“, sagt Puhr-Westerheide. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht, der seit 28 Jahren mit seiner Kanzlei in Rheinhausen sitzt, bezieht sich auf ein entsprechendes Urteil des Bundesarbeitsgerichts. „Bestritten wurde die Forderung erst Ende 2012, daher hat die Verjährungsfrist erst dann begonnen und ist noch längst nicht abgelaufen“, sagt Puhr-Westerheide.

„Ein perverse Geschichte und vom Ergebnis ein wenig schizophren“ 

Inzwischen hat eine Handvoll an ehemaligen Mitarbeitern Klage eingereicht, in einem Fall sogar die Erben. Im Gespräch mit der NRZ zeigt der Insolvenzverwalter dafür nicht nur überraschend viel Verständnis, er begrüßt die Klagen sogar. „Im Grunde ist es doch eine perverse Geschichte und vom Ergebnis ein wenig schizophren“, sagt Helmut Schmitz.

Dass er die im Sozialplan vereinbarten Abfindungen nicht zahlen will, sei „kein böser Wille, sondern eine Tücke des Systems“. Denn erhebe er die sogenannte „Einrede der Verjährungsfrist“ nicht, setze er sich der Gefahr aus, dass die Gläubiger Schadensersatzansprüche geltend machen. So müsse er „das Spiel eben mitspielen.“

Hoffnung auf zweitinstanzliches Urteil

Schmitz stützt sich dabei auf zwei Urteile aus 2012, die er sehr genau kennt: Er selbst war der Beklagte, als Babcock-Insolvenzverwalter. Das Arbeitsgericht Oberhausen kam zu dem Urteil, dass auch Sozialplanforderungen im Insolvenzverfahren der regulären Verjährungsfrist unterliegen. In der Berufungsverhandlung hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf die Auffassung zumindest im Protokoll bestätigt, ein rechtskräftiges Urteil aber gab es nicht. Allerdings lag der Fall auch leicht anders, weil es bei Babcock von Anfang an nichts zu verteilen gab.

Bis dahin habe es keine Parallelurteile gegeben, begründet Schmitz, warum er die Verjährung erst jetzt anführt. „Ich habe nichts dagegen, verklagt zu werden“, sagt er. „Ich habe die Hoffnung, dass man so über die Arbeitsgerichte zu einem gut begründeten, mindestens zweitinstanzlichen Urteil kommt.“

Und wieder klingelt das Handy

Ob die Belegschaft je einen Euro aus dem Sozialplan sieht, müssen wohl die Richter entscheiden. In seinem letzten Bericht macht Insolvenzverwalter Schmitz klar: „Unter Berücksichtigung der zu erwartenden Rechtsstreite kann der Abschluss des Verfahrens derzeit nicht prognostiziert werden“.

In der Manteltasche von Frank Rehe klingelt erneut das Handy. Einer der alten Kollegen hat sich gemeldet. Die Beiden haben sich zu einem Termin bei ihrem Anwalt verabredet.

Betriebsrat will jetzt über Klage beraten 

Als eine „ganz blöde Situation“ für die ehemaligen Mitarbeiter bezeichnet Manfred Königs, Betriebsratsvorsitzender bei Haustadt und Timmermann, den Fall. Viele Kollegen, die inzwischen über ganz Deutschland verteilt sind, melden sich bei ihm. „Ich will keine falschen Hoffnungen wecken“, sagt Königs der NRZ. Wie immer gebe er ihnen Auskunft über den Stand des Verfahrens. „Aber wir haben noch keine Klarheit. Ich sehe zumindest aber noch einen Hoffnungsschimmer.“

Derzeit trommelt er den Gesamtbetriebsrat zusammen, die Kontakte seien auch nach zehn Jahren noch vorhanden. Das Unternehmen bestand aus drei Firmen, eine davon mit Sitz in Brandenburg. „Wir werden weitere Schritte prüfen und beraten, ob wir einen Fachanwalt einschalten und Klage einreichen“, sagt Königs. Er ist überzeugt, dass sich die Forderungen nur über den Rechtsweg durchsetzen lassen. „Da führt wohl kein Weg dran vorbei.“ Die Kosten dafür müssten laut Königs aus der Insolvenzmasse fließen.

Rechtsweg ist auch eine Kostenfrage

Auch dem Betriebsratsvorsitzenden ist bekannt, dass einige der Mitarbeiter bereits den Klageweg beschritten haben. „Das müssen die Kollegen einzeln für sich entscheiden. Es gibt zu viele Varianten, ich werde ihnen diese Entscheidung nicht abnehmen.“ Die im Sozialplan geregelten Abfindungen richten sich nach Dauer der Firmenzugehörigkeit, nach Alter, Familienstand und dem Einkommen.

Die Höhe ist völlig unterschiedlich, für einige Mitarbeiter sind das um die tausend Euro, bei anderen handelt es sich um mehrere zehntausend Euro. „Danach berechnen sich auch die Anwalts- und Gerichtskosten. Viele haben keine Rechtsschutzversicherung, sie müssen sich überlegen, ob sie das Geld aufbringen wollen oder überhaupt können.“

Laut Arbeitsrechtler Christian Puhr-Westerheide bestehe aber immer noch die Möglichkeit Prozesskostenhilfe zu beantragen. „Dann kostet ein Prozess in der Regel nichts.“ Ansonsten könne man in begründeten Einzelfällen auch besondere Absprachen treffen.