Duisburg. .

Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Nachdem Norbert Schmidt, Elektroinstallateur in Diensten der Stadt, sich auf die Stelle als Hausinspektor am Theater beworben und zum ersten Mal das Innenleben mit seiner alten Technik angeschaut hatte, waren die Zweifel groß. „Ich glaube, ich mach’ das nicht“, habe er gedacht. Er machte es dann doch. 23 Jahre später sagt er: „Fürs Theater würde ich fast alles geben.“ Und das, obwohl er in diesen 23 Jahre Höhen und Tiefen so nah erlebt hat wie sonst keiner.

Norbert Schmidt lebt in einer Dienstwohnung im Theater. „Der Vorteil ist, dass ich nie einen Parkplatz suchen muss; der Nachteil, dass ich immer verfügbar bin.“ Dafür gab’s im letzten Jahr einen gesundheitlichen Warnschuss. Jetzt macht der 59-Jährige Ernst damit, auch mal nicht verfügbar zu sein und „verdonnert“ Kollegen, ihn zu vertreten. Wobei das mit dem Donner nicht Norbert Schmidts Sache ist. Der ruhige Mann mit der Stimme, die man sich auch im Nachtprogramm des Radios vorstellen kann, sagt: „Man muss hier auch Psychologe sein. Wir haben hier ein großes A-Orchester, das sind sensible Musiker; mit denen muss man anders umgehen als mit Handwerkern.“

Lehrreich war da ein Streit, den Schmidt als Theater-Neuling mit einem italienischen Dirigenten hatte. „Der rannte ganz aufgeregt rum und sagte, er kann nicht anfangen, weil die 1. Geige nicht da ist.“ Irgendwann platzte Schmidt der Kragen. „Ich habe gesagt: Da sind doch genug Geigen, fang’ doch an“, erinnert er sich schmunzelnd. Nachdem er wusste, was es mit der „1. Geige“ auf sich hat, sei er dann in einer ruhigen Minute zum Dirigenten und habe sich entschuldigt. Der habe das anerkennend kommentiert: „So was habe ich noch nie erlebt, es war aber nicht schlecht.“

„Türen zu, ihr könnt anfangen“

Es sei halt anfangs alles für ihn sehr aufregend gewesen, so Schmidt. „Es ist ja alles live“. Und der Hausinspektor spielt da eine wichtige Rolle. „Die Vorstellung beginnt, wenn ich am Inspizientenpult sage: Türen zu, ihr könnt anfangen.“

Türen zu: Das heißt, dass alle Besucher auf ihren Plätzen sitzen. Denn zu den Aufgaben von Norbert Schmidt gehört auch der Direktionsdienst. „Inzwischen mache ich den nicht mehr für die Oper, sondern nur noch für das Schauspiel oder besondere Events. Damit bin ich für die Zuschauer verantwortlich.“ Einmal ist es ihm anfangs passiert, dass zwar im Zuschauerraum alles klar war, er aber vergessen hatte, sein Okay zu geben und zum Abendbrot gegangen war. „Nach zehn Minuten fiel es mir ein – und die hatten tatsächlich noch nicht angefangen.“

Dass so etwas auch alten Hasen passieren kann, hat Schmidt mit einem ganz Großen seines Fachs erlebt. Karl Ridderbusch, seit 1965 Solist an der Rheinoper und Bassist von Weltruf, sollte eine 15-Uhr-Vorstellung von „Zar und Zimmermann“ singen. „Es war zehn vor – und Ridderbusch nicht da. Ich habe ihn angerufen und von der Couch geholt.“ Schmidt musste dann vor den „Eisernen“ und dem Publikum erklären, dass die Vorstellung später beginnt. Damit nicht genug: Ridderbusch fuhr zuerst nach Düsseldorf, bemerkte da erst, dass er nach Duisburg musste. Die Vorstellung begann schließlich mit 90-Minütiger Verspätung. „Aber das Publikum hat Ridderbusch mit Applaus empfangen.“ Mit einigem Stolz sagt Schmidt: „In 23 Jahren wurde keine Vorstellung abgesagt.“

An 365 Tagen spielfertig

Noch nicht mal abgebrochen, obwohl es einmal kurz davor war, als es im Hinterhaus in der Möbelkammer brannte. Auf der Bühne läuft das Ballett „Feuervogel“, als bei Schmidt der Brandmelder losgeht. „Den habe ich auch in der Wohnung, da haut’s einen aus dem Bett.“ Kurze Zeit später wird auch ein Druckknopfmelder betätigt. „Ich habe sofort die Feuerwehr geholt, die war in sieben Minuten da. Ich bin runter in die Möbelkammer, es brannte ein Regal.“ Schmidt erklärte den Feuerwehrleuten, dass bald Pause sei. Sie verzichteten auf die Räumung.

Brandmeldeanlage, Sprühflutanlage, Notlicht und die gesamte Stromversorgung sind die Kernaufgaben des Hausinspektors. „Wichtig ist: Ich sehe einfach alles. Wichtig ist aber auch, dass die Ehefrau mitspielt, denn es hört nie auf.“ Mit den Jahren sei er gelassener geworden. Dennoch: „Techniker, Beleuchter, Musiker, Angestellte – alle kommen mit Problemen zu mir. Ich versuche viel abzufedern, bevor ich zur Chefin gehe. Ich habe ein Gespür dafür entwickelt, wie weit ich verantwortlich gehen kann. Aber wir sagen nicht: Da haben wir nix mit zu tun. Wir sind vertraglich verpflichtet, das Haus an 365 Tagen spielfertig zur Verfügung zu stellen. Es muss immer alles laufen, alles gehen.“

Norbert Schmidt hat vor 23 Jahren den richtigen Weg eingeschlagen. „Das entscheidet sich nach einem halben Jahr. Entweder man ist vom Theaterbazillus befallen – oder nicht: dann geht man.“ Er ist infiziert, er ist geblieben.