Duisburg. Im Laufe der Zeit sind aus den Industriedenkmälern des Ruhrgebiets Museen, Parks, Bühnen und Ateliers geworden. Bei Touren und Besichtigungen bieten sich tiefe Einblicke in eine Region, die in der Industriekultur ihre kulturelle Identität bewahrt. Eine Reise zum Landschaftspark Duisburg Nord.

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Der Landschaftspark Duisburg-Nord – das ist das stillgelegte Thyssen-Hüttenwerk im Duisburger Stadtteil Meiderich. Der ganze industrielle Kern der Anlage steht unter Denkmalschutz. Ein stählerner Koloss – „Big Steel“: ein fast komplett erhaltenes Stahlwerk mit drei Hochöfen, riesigen Hallen, Häusern, Halden, Bunkern und einem Gasometer. Das 200 Hektar große ehemalige Werksgelände ist seit 1991 ein öffentlich zugänglicher und weltweit wohl einmaliger Park. Hier sind die stählernen Spuren der Vergangenheit zwischen jungem Grün ganz bewusst sichtbar geblieben.

Fast 80 Jahre lang wurde hier unter harten Arbeitsbedingungen Roheisen produziert – 24 Stunden rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Nach der letzten Schicht am 4. April 1985 ließen die Arbeiter ihre Werkzeuge einfach fallen. Fast sechs Jahre lang wurde um die künftige Nutzung des Werksgeländes gestritten, bis der Eigentümer, die Landes-entwicklungsgesellschaft NRW, zusammen mit der Internationalen Bauausstellung Emscher Park (1989–1999) entschied, die Hochofenanlage nicht abzubrechen, sondern für künftige Generationen zu erhalten. Kultur, Tourismus, Naherholung, Naturschutz und Ökologie wurden die Leitideen für die Entwicklung des Landschaftsparks.

Vom Kletterpark bis zum Hobbytauchen

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Tatsächlich sprießt heute in allen Ecken und Winkeln die Natur und erobert sich nach und nach das Industriegelände zurück. Schätzungsweise 60 Vogelarten und 300 Pflanzen haben sich neu angesiedelt. Darunter auch einige exotische Gewächse, die erst mit Erzlieferungen aus Übersee den Weg hierher gefunden haben und tatsächlich gedeihen. Ein industriegeschichtlicher Rundweg erschließt das weitläufige Gelände und erläutert den komplizierten Prozess der Verhüttung von Erz zu Roheisen. Für Kinder entstand einer der ungewöhnlichsten Spielplätze Deutschlands.

Mitglieder des Deutschen Alpenvereins haben einen Kletterpark eingerichtet, ein mit Wasser gefüllter Gasometer wird von Hobbytauchern genutzt. Abends erstrahlt die Hochofenanlage in roten, blauen und grünen Farben – einer Lichtinstallation des britischen Lichtkünstlers Jonathan Park. Die ehemaligen Industriehallen wie die Kraftzentrale, die Gebläsehalle und die Gießhalle werden als Aufführungsorte für vielfältige Theater-, Tanz- und Musikveranstaltungen genutzt. Der Landschaftspark ist heute einer der Hauptspielorte der RuhrTriennale.

Landschaftspark Duisburg-Nord - Hüttenwerk wird zum Park 

Der Unternehmer August Thyssen hatte das Werk 1902 als „Aktiengesellschaft für Hüttenbetrieb“ in unmittelbarer Nähe seiner Kohlefelder gegründet. 1903 begann der Betrieb mit drei Hochöfen, 1908 waren bereits fünf Hochöfen im Einsatz. Das Werk produzierte Roheisen, das in den Thyssen-Stahlwerken weiterverarbeitet wurde. Befeuert wurden die Öfen mit Koks, der durch eine Hängeseilbahn von der benachbarten Kokerei Friedrich Thyssen 4/8 antransportiert wurde.

Die "Deutsche Gesellschaft für Industriekultur e.V."

Außer dem Hüttenwerk gab es auf dem 200 Hektar großen Gelände noch eine Schachtanlage, eine Sinterei, eine Kokerei und eine Gießerei. Die Produktion einer besonders großen Vielfalt an Spezialroheisensorten brachte dem Hüttenwerk einen exzellenten Ruf weit über das Ruhrgebiet hinaus ein. In den 82 Betriebsjahren des Werkes wurden insgesamt 37 Millionen Tonnen Roheisen produziert. 1974 erreichte die Produktion mit 948.000 Tonnen Rohstahl ihren absoluten Höhepunkt in der Werksgeschichte. Am 4. April 1985 kam das plötzliche Aus: Das Hochofenwerk wurde eine Geisterstadt.

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Die lokale Politik beabsichtigte, auf dem Gelände ein neues Gewerbegebiet zu entwickeln. Quasi in letzter Minute konnte die Demontage von einer Gruppe engagierter Bürger und Fachleute verhindert werden, die sich in der „Deutschen Gesellschaft für Industriekultur e. V.“ zusammengeschlossen hatten. Ausschlag gebend für den Erhalt des Hüttenwerks war letztlich weniger der industriearchäologische Wert des Geländes, sondern die enormen Abrisskosten: 20 Mio. DM hätte der Abbruch gekostet, 1,5 Mio. hingegen eine Grundinstandsetzung, zuzüglich eines jährlichen Unterhaltsaufwands von 200.000 Mark.

Industrienatur im Landschaftspark Duisburg-Nord 

Industrie und Natur – als im Ruhrgebiet die Schlote noch rauchten, war das ein Widerspruch in sich. Doch nach der Stilllegung von Zechen, Kokereien und Hüttenwerken hat sich die Natur die aufgelassenen Brachflächen mit rasanter Geschwindigkeit zurückerobert.

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Was auf solchen Flächen wächst und lebt, wird Industrienatur genannt, von Förstern und so genannten „Rangern“ sorgsam gehegt und gepflegt. Neben gartenkünstlerisch neu gestalteten Bereichen entstand mancherorts auch eine kleine Wildnis. Zu entdecken gibt es seltene Arten, eine farbenprächtige Blütenfülle und skurrile Wuchsformen.

Der Emscher Landschaftspark

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In alten Erzbunkern und auf Halden wachsen jetzt Birkenwälder, auf stark verdichteten Schlackeböden verbreitet im Frühjahr der Scharfe Mauerpfeffer oder der Sommerflieder seine Blütenpracht: Der Busch, auch „Schmetterlingsstrauch“ genannt, siedelt gerne im trockenen Schotter stillgelegter Bahngleise.

Manchmal ist die Pflanzenwelt regelrecht international. Zum Beispiel das schmalblättrige Greiskraut: eine gelbe Blüte, die wie Kamille aussieht; sie stammt aus Südafrika und kam per Schiff mit den Erztransporten ins Ruhrgebiet. Heute kann man sie vor allem auf salzhaltigen Waschbergen finden, wo sie sich ausgesprochen wohl fühlt.

Unter dem Namen Emscher Landschaftspark sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehr als 200 Flächen planvoll entwickelt und durch Wegenetze wie den Emscher Park Radweg miteinander verbunden worden. Die Vision ist ein durchgehender, etwa 440 Quadtratkilometer großer Regionalpark. Als Projekt regionaler Standortpolitik wird er unter ökologischen und freizeittouristischen Aspekten kontinuierlich ausgebaut.