Duisburg/Essen. . Frust, Ärger, Verzweiflung machen sich breit in vielen Polizeidienststellen. In Duisburg haben zwei Beamte einen offenen Brief an ihre Chefs geschrieben - die Botschaft: Es geht nicht mehr! Zu wenig Personal, zu viele Einsätze, kein Respekt mehr vor der Polizei. Die Polizeigewerkschaft bestätigt: Es wird immer schlimmer.

„Ein spannender Beruf für motivierte junge Leute“ – so lockt NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) Schulabgänger für den Polizeiberuf. Tatsächlich ist der Polizistenalltag nicht selten eine riesige Belastung. Wie schlimm es zuweilen in den Wachen oder auf der Straße zugeht, haben zwei Beamte aus Duisburg-Meiderich in einem Brief an ihre Polizeiführung aufgeschrieben. Gegenüber „Bild“ machten sie eine Rechnung auf: Von geplanten 23 Beamten bleiben angeblich pro Schicht nach Abzug von Urlaub, Mutterschutz, Krankheit und Fortbildung nur noch neun übrig.

„Ede fischt gern im Trüben, der Schutzmann treibt’s ihm aus!“ lautet eine Textzeile des Titelsongs der TV-Serie „Großstadtrevier“. Eine romantische Vorstellung des Polizei-Alltags. In Duisburg kann „Ede“ der Chef einer Rockertruppe sein, der gerne auch mal mit seinen Kumpanen und mit Baseballschlägern bewaffnet auf Polizisten losgehen will. Und von denen haben immer mehr viele Jahre Wechselschicht hinter sich.

Das Durchschnittsalter bei der Polizei ist hoch, entsprechend ist der Krankenstand. Normal sind fünf Schichten hintereinander, zwei Tage frei. Wenn zu wenig Personal da ist, weil zum Beispiel gerade eine Grippewelle grassiert oder Kollegen bei Einsätzen verletzt worden sind, müssen sie sechs Schichten machen. Frei am Wochenende? Für Polizisten in solchen Fällen eher Ausnahme statt Regel, erzählt man sich unter Kollegen.

Personal wird hin- und hergeschoben

100 Millionen Euro soll Innenminister Ralf Jäger angeblich sparen müssen. Die Gewerkschaften fürchten einen Personalabbau bei der Polizei und das bei der ohnehin schon hohen Belastung. Zwei Polizeibeamte aus Meiderich plauderten gegenüber einer Boulevard-Zeitung aus dem Alltag, schilderten eine bedrohliche Begegnung mit Rockern und beklagten mangelnde Personalreserven zur Verstärkung.

Dass die Personalsituation in dem geschilderten Fall eng war, gibt der Duisburger Polizei-Sprecher Stefan Hausch zu: „Zwei Kolleginnen waren schwanger, zwei Kollegen bei Einsätzen verletzt worden.“ Man habe aber durchaus reagiert und zwei Kräfte nach Meiderich beordert. Eine Schicht bestehe aus sechs Polizisten als Grundbesetzung, neun waren insgesamt da. 23 sind es bezogen auf alle drei Schichten in 24 Stunden, weist Hausch den Eindruck zurück, dass in diesem Fall 14 Leute gefehlt hätten.

Personal werde nach Bedarf hin- und hergeschoben. In Duisburg haben man eben „viele Baustellen“, sagt Hausch und erinnert an Rocker, Mafia, die Loveparade und seit einigen Jahren die verstärkte Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien, die die Polizei vor neue Herausforderungen stellten. Ein Grund, warum Duisburg ab September mehr Leute bekommt: Ein halbes Dutzend wurde genehmigt, berechnet nach der „Belastungsbezogenen Kräfteverteilung.“

Im Alltag gibt es keine Verstärkung

„Bei Großveranstaltungen können wir auf Einsatzhundertschaften zurückgreifen“, so der Pressesprecher weiter. Doch für das alltägliche Geschäft gibt es solche Kräftereserven nicht: Es sitzen nicht irgendwo in der Stadt Polizeibeamte und warten darauf, gerufen zu werden. Die Kräfte, so schildert es ein Polizist, rekrutierten sich aus anderen Streifen, die unterwegs sind: Reichen die anwesenden Kräfte vor Ort nicht aus, wird zunächst in der Polizei-Inspektion nach Verstärkung gesucht, dann in der ganzen Stadt oder sogar bei den benachbarten Behörden. Wie schnell sie dann am Einsatzort sind, sei eine zweite Sache. Da könne es auch schon mal eng werden. „Da wird aber keiner im Regen stehen gelassen“, unterstreicht Stefan Hausch. „Wenn es nötig ist, kommt die Verstärkung.“ Mit 15 Fahrzeugen ist die Polizei allein nachts auf Streife, in der Spätschicht sind es noch einige mehr.

Einbrecher werden fast nie gefasst

Dennoch: Frust, Ärger, Verzweiflung machen sich breit in vielen Polizeidienststellen im Land. Die Polizeigewerkschaft GdP sagt. Immer weniger Polizisten müssen immer mehr Aufgaben schultern. Aktuell, so die GdP, fehlten in NRW 5000 Polizisten. Die Arbeit wachse den Beamtinnen und Beamten zuweilen über den Kopf:

„Wir müssen und wollen uns um immer neue Dinge kümmern wie zum Beispiel die Internet-Kriminalität. Wohnungseinbrüche nehmen dramatisch zu, aber nur 14 Prozent der Einbrüche werden auch aufgeklärt, weil die Beamten gar keine Chance haben, die Täter zu ermitteln. Es gibt weniger Kontrollen im Straßenverkehr. Wir kümmern uns um von der Politik gewollte Projekte wie den NRW-Aktionsplan gegen Rechtsextremismus oder „Kurve kriegen“ gegen Kinder- und Jugendkriminalität. Die Wachen sind zum Teil stark ausgedünnt, in manchen Landkreisen sind nachts nur vier Streifenwagen besetzt. Das ist wie ein Steinbruch, alles bröckelt, es steht immer weniger Personal zur Verfügung, sagte GdP-Landeschef Frank Richter dieser Zeitung.

Das, so die Gewerkschaft, ist die traurige Wirklichkeit heute. Und der Blick in die Zukunft verheißt Übles. Während Innenminister Ralf Jäger (SPD) Schulabgängern den Polizeiberuf empfiehlt, öffnet sich offenbar die Schere zwischen Berufseinsteigern und ausscheidenden Polizisten. Prognosen zeigen: Ab 2013 wird es mehr aus dem Dienst ausscheidende als neu einsteigende Polizisten geben, diese Situation dürfte sich bis zum Ende des Jahrzehnts dramatisch verschärfen.

Bürgernähe bleibt auf der Strecke

1400 Polizisten stellt NRW jedes Jahr neu ein. „1400 würden so gerade eben reichen, um den aktuellen Bedarf zu decken“, erklärt GdP-Sprecher Stephan Hegger. Doch etwa sechs Prozent der Berufsanfänger schließen ihre Ausbildung bei der Polizei gar nicht ab. Außerdem erinnert die GdP daran, dass Polizist zum Glück schon lange kein reiner Männerberuf mehr ist. Rund 40 Prozent der Berufsanfänger sind Frauen, und von denen werden sich einige familiäre Auszeiten vom Beruf nehmen. Heißt: Statt 1400 Berufsanfängern im Jahr müssten es nach Einschätzung der Gewerkschaft 1700 sein, um den Bedarf tatsächlich zu decken.

Stattdessen machen Gerüchte die Runde, das Land NRW wolle 100 Millionen Euro bei der Sicherheit einsparen. Aus den Reihen der Grünen gibt es Vorschläge, die 47 Polizeibehörden, die es zurzeit in NRW gibt, in 20 „Großpräsidien“ zu verwandeln. Dabei ginge die Bürgernähe der Polizei, insbesondere in den Landkreisen, weiter den Bach runter, fürchten viele Beamte.

GdP-Sprecher Hegger: „Polizist ist nach wie vor ein toller Beruf, unser Ausbildungsstand in NRW ist sehr hoch. Aber die Polizei darf nicht zum Sparschwein der Nation werden.“