Duisburg. .
Sie kommen, um zu helfen, Schmerzen zu lindern, Krankheiten zu behandeln. Überspitzt formuliert: Sie sind die Guten. Rettungssanitätern sollte der rote Teppich ausgerollt werden, Dankbarkeit sollten sie erwarten können. Doch immer öfter sieht die Realität anders aus. Beschimpft, bedroht, beworfen, betatscht werden sie auf ihren Einsätzen. Auch mal geschlagen.
Jedes Jahr werden um die zehn Rettungssanitäter in Duisburg so schwer angegriffen, dass sie vorübergehend dienstunfähig sind und eine Strafanzeige stellen. Der Versuch, alle Bedrohungen und Anfeindungen zu erfassen, scheitert an der Realität. Zu viel Papierkram, zu viel anderes zu tun und manchmal scheitert es auch schlicht und ergreifend an Angst.
Erst kürzlich, erzählt ein Feuerwehrmann, sei er mit einem Kollegen zu einem Einsatz gefahren. Ein Krampfpatient, es eilte. Da bremst ein dicker schwarzer BMW in der zweiten Reihe. Ein Mann steigt aus, geht zu seinen Freunden auf dem Bürgersteig und quatscht, während der Rettungswagen mit Blaulicht und Martinshorn dahinter steht. Da sei er ausgestiegen, nur um dann in den Lauf einer Pistole einer Pistole zu starren. „Da wird einem schon anders“, findet der Rettungssanitäter und sein Kolleg, der dabei war, ergänzt später im Gespräch: „Ich lebe in Duisburg. Zeig ich den an, hat der meinen Namen und bedroht meine Familie.“ Solche Bespiele zeigen. Nicht alles, was vorkommt, findet seinen Weg in die Bürokratie.
Das weiß auch Andreas Bretten. Der 47-jährige Brandamtsrat leitet das Sachgebiet Rettungseinsätze und weiß: „Beschimpfungen gehören zum Alltagsgeschäft.“ Nachdem sich in den vergangenen Jahren die Beschwerden der Rettungssanitäter immer mehr zugenommen hatten, gibt es jetzt seit vier Jahren den Lehrgang „Umgang mit schwierigen Patienten“, den die Rettungssanitäter im Rahmen ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Fortbildung besuchen. Die Resonanz beschreibt Bretten so: „Gut, gerne öfter, jedes Jahr wieder.“
Der Mann, der lehrt, ist praktischerweise selbst Duisburger Feuerwehrmann, Kampfsport-Ausbildungsleiter und heißt Uwe Riese. Sein Sport heißt Wing Tsun, kommt aus dem Chinesischen, dient der Selbstverteidigung und „ist eleganter als andere Kampfsportarten“, findet der 42-Jährige. Bekanntester Vertreter: Bruce Lee.
Ortstermin in der Hauptfeuerwache an der Duisserner Wintgenstraße: 15 Rettungssanitäter sitzen im abgedunkelten Seminarraum in der vierten Etage. An der Stirnwand leuchtet eine Power-Point-Präsentation auf. Paragraph 223 „Körperverletzung“ steht da. Und Uwe Riese erklärt. Was das im allgemeinen zu bedeuten hat, und was für Rettungssanitäter besonders wichtig und zu beachten ist. Auch unterlassene Hilfeleistung steht auf dem Lehrprogramm. Halt Gesetze die regeln, was ein Rettungssanitäter im Dienst darf und was nicht.
Eine Regel, die Uwe Riese immer wieder betont, ist die Eigensicherung, das sich selbst schützen, nicht blindlings in Situationen stürzen. Denn zunächst ganz harmlose Einsätze können schnell kippen. Passiert das, liegt das meist an zwei Dingen: Alkohol und Drogen. Ist eins von beiden oder sind beide im Spiel, wird es für Rettungssanitäter regelmäßig gefährlich. „Mich hat die Tage ein Junky im Aufzug gewürgt“, erzählt der eine. „Ich wurde bei einem Einsatz mit Sektflaschen beworfen“, erzählt ein anderer. Namen wollen sie in der Zeitung nicht lesen. „Zu haarig“. Oder eben, wie oben, erwähnt schlicht zu gefährlich. Es sei kein Einzelfall, erzählen die Männer in Uniform, dass sie ihre Namensschilder abkleben, wenn sie in bestimmte übelbeleumdete Nachbarschaften gerufen werden, sondern Realität.
Realität, die Uwe Riese auch kennt, und deshalb sagt: „Bringt euch in Sicherheit, wenn es gefährlich wird. Ihr seid Rettungssanitäter, nicht die Polizei.“ Er wirft Regeln an die Wand im Seminarraum. „1. Kontakt, freundliches auftreten“, steht da als erstes, oder „Respekt gegenüber Menschen waren“. Eigentlich Selbstverständlichkeiten, die man sich aber immer wieder in Erinnerung rufen muss, wenn es schwierig wird. Nicht, dass das mit der Freundlichkeit und dem Respekt immer funktioniert, denn, so formuliert es ein Lehrgangsteilnehmer: „Es gibt genug Durchgeknallte.“ Aber einen Versuch ist es wert, damit aus einem Rettungseinsatz kein Kampfeinsatz wird.
Die Situation richtig bewerten, gefährliche Gegenstände, wie das Anglermesser auf dem Couchtisch oder die gebrauchte Spritze, erst einmal entfernen, den Patienten im Auge behalten, selbst erst einmal etwas Abstand halten, Rückzugsweg freihalten - das sind die Ratschläge, die Uwe Riese seinen Kollegen mit auf den Weg gibt: „Drogen und Alkohol bei Patienten sind das Problem, nicht der normale, nüchterne Patient.“
Die richtige Körpersprache
Szenenwechsel: Im großen Besprechungsraum in der vierten Etage kommen die Lehrgangsteilnehmer wieder zusammen. Nach der Theorie geht es nun an die Praxis. Wie gehe ich auf einen Patienten zu? Wie spreche ich ihn an? Uwe Riese macht es vor, geht langsam mit leicht erhobenen offenen Händen auf sein sitzendes Demonstrationsobjekt zu, fragt mit ruhiger Stimme: „Wie kann ich helfen? Was kann ich für Sie tun? Was ist denn passiert?“ Und schwupps, schon steht der Trainer neben dem Patienten, nicht direkt vor ihm, wo er viel angreifbarer wäre. „Ihr sollt euch einen Vorteil verschaffen, euch erst einmal schützen“ - das ist das Credo von Uwe Riese.
Er zeigt Handgriffe, Bewegungsabläufe, die Angreifer abwehren und außer Gefecht setzen können. Keine aufwendigen Handgriffe. Alles immer schön einfach, nichts kompliziertes, damit es auch alltagstauglich. Seine Kollegen werden es im Duisburger Rettungsdienst-Alltag brauchen. Leider.