Duisburg. .

Sie war eine Ausnahme, dabei wollte sie ganz normal sein. Ein Pressetermin ihr zu Ehren? Auf keinen Fall. Der wird jetzt, 31 Jahre später, doch noch nachgeholt. Denn Nuriye Webers, geborene Sengün, war 1981 die erste türkischstämmige Abiturientin in Duisburg. Und eine Herausforderung.

1966 war die Fünfjährige mit der Familie dem Vater, der als Rangiermeister und Funk-Lokführer bei Eisenbahn und Häfen arbeitete, nach Marxloh gefolgt. Ihr erstes Staunen galt blauen Blümchen, namentlich Stiefmütterchen und Rhododendron. Und Männern mit komischen Hütchen auf dem Kopf, die „Es ist noch Suppe da“ singen. Das Phänomen Karneval ist für sie bis heute ein Kuriosum.

Die Bedingung: Pflegefamilie

Im damaligen Marxloh gab es keine türkische Infrastruktur, Vater sprach der Mutter deutsche Texte aus einem Lehrbuch auf Kassette, damit sie sich so schnell wie möglich in die fremde Sprache einhören konnte. Die Kinder lernten beim Spiel in der Nachbarschaft - Nuriye offenbar so erfolgreich, dass sie eine gymnasiale Empfehlung erhielt, gemeinsam mit einem anderen Mädchen. Jene bekam eine Zusage, Nuriye nicht. Ein Arbeiterkind! Ein Türkenkind!

Viele Jahre später erfuhr sie, dass sich der Grundschullehrer für sie eingesetzt hatte und die damalige Rektorin des Elly-Heuss-Knapp-Gymnasiums überzeugte. Unter zwei Bedingungen: Zuhause dürfe kein Türkisch mehr gesprochen werden und bei den Eltern sollte Nuriye auch nicht mehr wohnen, eine deutsche Pflegefamilie sollte sich um das Kind kümmern. Während Regel eins so treu beherzigt wurde, dass die Schülerin mit 15 ihre Muttersprache nahezu neu lernen musste, existierte Regel zwei nur auf dem Papier. Ohnehin: Die „Pflegefamilie“ hieß ganz undeutsch Katzmarek und wohnte nebenan.

Ohne Groll erzählt Nuriye Webers das, die Zeiten waren eben so: „Die Rektorin hat sich Gedanken gemacht und zu meinem Wohl entschieden.“ Schließlich seien auch deutsche Kinder aus wohlsituierten Familien gescheitert, die Hürde erschien für eine Einwanderin ungleich höher. Ihr kleiner Bruder enterte sieben Jahre später problemlos das Gymnasium.

Probleme bekam Nuriye Webers auch während des Studiums an der Uni Duisburg. Englisch, Spanisch und Italienisch auf Lehramt sollte es sein, ein Austausch mit England gehörte nach vier Semestern dazu. Bei ihrer Rückkehr erfuhr sie dann: Mit einem türkischen Pass darf sie kein Referendariat machen. Das hätte man natürlich auch vor Studienaufnahme schon sagen können.

Webers wechselte kurzerhand auf ein Magisterstudium, gründete nach dem Abschluss eine Nachhilfe-Sprachschule, leitete später das Internationale Kulturzentrum in Moers. „Aber ohne Unterrichten macht das Leben keinen Spaß“, stellte sie fest und holte auf Umwegen das Zweite Staatsexamen für Gymnasien und Gesamtschulen nach. Seit elf Jahren ist sie jetzt Lehrerin für Englisch, seit vier Jahren unterrichtet sie zudem Spanisch an der Gesamtschule Beeck. Das macht glücklich.

Integriert? - Hochzeit in Las Vegas!

Heute lebt Webers in Neukirchen-Vluyn. Ihren Mann heiratete sie einst ziemlich untürkisch in Las Vegas. Total integriert nennt man das wohl. Das Thema Integration berührt sie dennoch regelmäßig, „bedauerlich“ findet sie das, 50 Jahre nach dem Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei. Zuletzt konnte sie einer Kollegin helfen, die sich wunderte, warum türkische Kinder zum Naseputzen aus der Klasse gehen. „In unserer Kultur ist das ein Tabu, es ist ungebührlich, solche Geräusche vor anderen zu machen“, so Webers. Und bedauert, dass solche Informationen nicht schon im Studium weitergegeben werden.

Die 51-Jährige beobachtet immer das gleiche Muster: Sind Kinder mit Migrations-Hintergrund erfolgreich, dann stecken dahinter fördernde Eltern und Lehrer, die an sie glauben. Ohne diese Unterstützung scheitern diese Kinder, schotten sich ab und entwickeln sich oft aus Trotz in andere Richtungen. Dabei sei es „kein großer Akt, auf Neues und Neue zuzugehen, Integration ist schließlich keine Einbahnstraße“.