Duisburg.. Streitthema anonyme Geburt: Im Helios Klinikum Duisburg wurde im Jahr 2001 eine Babyklappe eingerichtet - seitdem wurden neun Babys dort abgegeben. Dr. Peter Seiffert und Stationsleiterin Regina Lange befürworten die Babyklappe als rettende Einrichtung und stellen sich im NRZ-Gespräch den Kritikern.

Politiker aller Fraktion laufen Sturm gegen die Babyklappe. Einer der Gründe: Laut einer aktuellen Studie ist der Verbleib von etwa 200 anonym geborenen Kindern ungeklärt. Auch, dass die Babyklappe Kindstötungen verhindert, konnte mit Hilfe der Studie nicht nachgewiesen werden. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder will in diesem Jahr eine neue Regelung auf den Weg bringen, die die Babyklappen und sogenannte anonyme oder vertrauliche Geburten aus der rechtlichen Grauzone holen soll.

Im Helios Klinikum Duisburg wurde im Jahr 2001 eine Babyklappe eingerichtet - seitdem wurden neun Babys dort abgegeben. NRZ-Volontärin Jule Körber sprach über den Sinn der Babyklappe mit Dr. Peter Seiffert, Chefarzt der Kinderklinik, und der Kinderkrankenpflegerin Regina Lange, die die Station 41 leitet, auf der die abgegebenen Babys betreut werden.

Regina Lange: In drei Fällen kamen die Mütter innerhalb kurzer Zeit und haben sich zu dem Kind bekannt. Den Müttern konnten wir auch Hilfe vermitteln, um ihre unmittelbare Lebenssituation zu verbessern. Die anderen sechs Kinder sind bei Adoptiveltern. Wir sind natürlich froh, wenn die Mütter die Möglichkeit nutzen, es sich anders zu überlegen und sich doch noch dem Kind anzunehmen.

Wie ist das organisiert?

Lange: In dem gewärmten Bettchen, was hinter der Babyklappe steht, ist ein Briefumschlag mit einem Code. Über diesen Code kann sich die Frau als die Mutter des Kindes zu erkennen geben. In dem beiliegenden Brief stehen alle Informationen, was nun passiert - in zehn verschiedenen Sprachen.

Und was passiert mit dem Baby?

Lange: Die Mütter haben bis zu 12 Wochen Zeit, sich bei uns zu melden - danach wird es zur Adoption freigegeben. Die Kontaktaufnahme ist jedoch auch danach noch möglich. Unsere Erfahrungen zeigen jedoch, dass sich die Mütter, wenn sie sich denn melden, das innerhalb weniger Tage tun.

Da Sie ja drei Mütter kennen, die ihr Kind abgegeben haben - wissen Sie etwas über die Gründe?

Dr. Peter Seiffert: Eine Mutter war noch minderjährig und hatte Probleme mit ihren Eltern - wir konnten das gemeinsam regeln. Eine zweite wollte das Kind aus finanziellen Gründen abgeben - sie hatte schon mehrere Kinder. Auch da konnten wir helfen. Und die dritte Mutter hatte nicht mitbekommen, dass sie schwanger war - die war verständlicherweise von der Geburt des Kindes überfordert.

Das kann man sich ja gar nicht vorstellen ...

Seiffert: Das gibt es viel häufiger, als man denkt, dass Frauen nicht mitbekommen, dass sie schwanger sind. Ich habe hier schon einige solcher Fälle erlebt, sonst würde ich das selbst auch nicht glauben. Oft waren die sogar in Partnerschaften und selbst der Mann hat die Schwangerschaft nicht bemerkt.

Die Kritiker der Babyklappe sagen unter anderem, dass es den Eltern so zu leicht gemacht werden würde, sich ihrer Verantwortung zu entziehen und dass auch schon behinderte Kinder oder welche, die schon mehrere Monate alt waren, so abgegeben wurden ...

Lange: Ich denke, dass sich keine Mutter solch eine Entscheidung leicht macht, vor allem nicht nach neun Monaten Schwangerschaft. Und die Babys, die bei uns abgegeben wurden, waren ausnahmslos Neugeborene - und kerngesund.

Seiffert: Für uns steht im Vordergrund, das Leben zu retten. Dafür ziehen wir alle Register. Und es gibt eben Situation, da sehen das Frauen als einzigen Ausweg an. Wir wären glücklich darüber, wenn wir uns aus der gesetzlichen Grauzone, in der sich die Babyklappen befinden, hinausbewegen könnten.

Lange: Wir verurteilen diese Mütter auch nicht, eher im Gegenteil - es ist jedes Mal ein gutes Gefühl, wenn wir so einem Kind helfen können. Es war ein großer bürokratischer Aufwand, die Babyklappe einzurichten - nicht jede Institution darf das. Wir arbeiten sehr eng mit dem Jugendamt zusammen.

Und was setzen Sie Kritikern entgegen, die auf mehr Beratung setzen und sagen, das Kind habe ein Recht auf das Wissen über seine Herkunft?

Seiffert: Als erstes muss das Kind überleben, erst danach stellen sich diese Fragen. Seitens der Mutter sind verschiedene Situationen vorstellbar, in denen Beratung nicht helfen kann. Zum Beispiel, wenn der Mutter die eigene Schwangerschaft nicht bekannt oder bewusst ist. Dann wird Sie durch eine Schwangerenberatung niemals erreichbar sein. Grundsätzlich gilt: Das Leben hat immer Vorrang. Die Zahl der Kindstötungen ist erschreckend. Wir sollten alles tun, um den Kindern die Chance zu geben, zu leben. Den Gesetzesentwurf, der vorsieht, dass die Mutter ihre Daten hinterlegt und diese erst dem Kind ausgehändigt werden, wenn es in einem Alter ist, in dem es selbst darüber entscheiden kann, begrüße ich.

Aber: Wichtig ist zunächst einmal, die Mutter und das Kind nicht in Gefahr zu bringen und Mutter und Kind weitestgehend gerecht zu werden. Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, dass Menschen in Not in keiner Situation von Ärzten abgewiesen werden. Dieses gilt natürlich auch für Frauen, die sich bei einer unmittelbar bevorstehenden Geburt in die Klinik begeben und ihre Identität nicht preisgeben wollen. In einem solchen Fall würden wir die Frau selbstverständlich auch dann entbinden, wenn sie anonym bleiben will.