Duisburg. In Duisburg prozessiert ein Bergmann am Donnerstag um sein Hab und Gut. Derweil kommen Haniel und Xella den Opfern entgegen.

Bergmann war er, Gastarbeiter der ersten Stunde, hat jahrzehntelang Schwerstarbeit geleistet, die Knochen hingehalten und sich eine Staublunge geholt – alles für den Traum vom eigenen Häuschen. Jetzt steht es da und bröselt vor sich hin. Am Donnerstag kämpft Mehmet B. vor dem Duisburger Landgericht um seinen Lebenstraum.

Er klagt gegen Xella, Europas größten Kalksandsteinhersteller. Er möchte Schadensersatz für den Steinfraß in seinem Haus, einen Ausgleich für den Wertverlust und die Zusicherung, dass alle künftigen Schäden übernommen werden.

Große Steinfraß-Schneise

Herr B. ist ein kleines Pünktchen auf der Karte, die Xella gestern vorgestellt hat. Sie zeigt, wo Steine zerbröselt, Wände und Decken gerissen, Kacheln und Träume geplatzt sind. Von Nettetal im Westen bis Ennepetal im Osten, von Hennef im Süden bis Wesel im Norden reicht die Steinfraß-Schneise. Dazwischen verteilen sich lauter blaue Punkte: kleine, mittlere, große. Je dicker der blaue Punkt, desto häufiger hat es gebröckelt in dortigen Häusern, Straßen, Siedlungen. Hunderte potenzieller Geschädigter, die sich auch diese Woche an die WAZ wendeten, haben damit zumindest einen Anhaltspunkt, wie nah oder fern sie dem nächsten bisher bekannten Steinfraß-Zentrum sind.

Mündlicher Verjährungsverzicht

Und endlich haben sie eine Zusage, an der viel hängen kann: Dass ihre Ansprüche auf Schadensersatz nicht am Jahresende verjähren. Wer Bröselstein-Schäden erst nach dem 31.12.2011 gerichtlich geltend macht, hat keinen Nachteil. Das versichern Haniel und Xella in nahezu gleichlautenden Erklärungen. Schriftlich geben sie es nicht. Ein juristisch verbindlicher, unbefristeter Verzicht auf Verjährungen steht nach wie vor aus. Gewissheit haben die potenziellen Opfer deshalb nicht. Aber mehr Zeit, mehr Informationen – und die Nummer eines Sorgentelefons. Sie lautet 0203 / 60 880 55 44.

Anfang der Woche gab Xella die Mauertaktik auf und suchte den Weg in die Öffentlichkeit – im eigenen Interesse. WAZ-Berichte gaben den Ausschlag: Die veröffentlichten internen Schadenslisten, die es nach offizieller Darstellung gar nicht geben sollte, die aber genauen Aufschluss über die Wege der Bröselsteine zu Händlern und Baustellen liefern. Stillschweigeklauseln im Zusammenhang mit dem Aufkauf zerbröselter Häuser. Schließlich die Beschreibung eines Versicherungsbetrugs gegenüber dem HDI.

Seltsame Mitteilung

Xella ergriff die Flucht nach vorne. Er verantworte die Schäden zwar nicht, entschuldige sich aber bei den Geschädigten, sagte Vorstandschef Jan Buck-Emden. Xella habe nicht die Versicherung betrogen. Auch wenn sich eine interne Mitteilung „tatsächlich sehr seltsam liest“: „Wir sind uns sicher, alles richtig gehandhabt zu haben.“

Die Verhandlung am Donnerstag vor dem Duisburger Landgericht kann Präzedenzwirkung haben. Erstmals wird deutlich, wie die Justiz bei der Bewertung des Baustoffskandals tickt. Stefan Kortenkamp, Rechtsanwalt von Mehmet B. und Beistand von rund 30 weiteren Bröselstein-Opfern, rechnet mit einem Fingerzeig für weitere Fälle, die er vor Gericht bringen will.