Wanheim. .

Mit der neu zugezogenen Waldorfschule in Hüt­tenheim gibt es künftig erstmals in Duisburg das An­gebot, Kinder nach der Pädagogik von Ru­dolf Steiner zu unterrichten.

Was das bedeutet, erläuterten zwei Waldorf-Lehrerinnen jetzt im Familienzentrum am Honnenpfad.

Kinder, die nach der Grundschule zur Waldorfschule wech­­seln, gelten als Quereinsteiger. Sie sind zwar willkommen. Die Schule setzt aber be­reits mit dem ersten Schuljahr ein. Von da an bis zur sechsten Klasse bleibt es beim gleichen Klassenlehrer. Und der unterrichtet in dieser Zeit auch nicht nur die Fächer, die er studiert hat, sondern den kompletten sogenannten Hauptunterricht: Deutsch, Mathematik, Biologie, Physik, Chemie, Geschichte und Sachkunde. Erst später gehen diese Fä­cher an Fachlehrer über. Von Beginn an liegen dagegen die Fremdsprachen, Kunst, Mu­sik, Eurythmie (Bewegungslehre), Handarbeit, Handwerk und Sport bei Fachlehrern.

„Ich habe eine kleine Klasse, 15 Schüler“, berichtete Dr. Solveig Schiegl, die neu als Waldorf-Lehrerin ist. „Damit kann man wunderschön arbeiten.“ Es kann aber auch deutlich größere Klassen geben. Im Mittel sind es 25 Kinder.

Hauptunterschied zu staatlichen Schulen ist der so ge­nannte Epochenunterricht: Ein Fach wird drei oder vier Wochen lang jeden Tag in den ersten beiden Stunden unterrichtet. Warum das sinnvoll ist, begründete die frühere Wal­dorf-Lehrerin Hildegard Brauner: „Die Nacht ist für das Gedächtnis von enormer Be­deutung. Man kann am nächsten Tag auf das gespeicherte Wissen zurückgreifen.“ Auch müsse am En­de einer Doppelstunde so nicht immer ein ab­rufbares Ergebnis stehen. „In der zwölften Klasse, in Evolution zum Beispiel“, so die Biologie-Lehrerin, „kann man richtig einsteigen und ein Wissen vermitteln, wozu man sonst Monate braucht.“ Diese Form des Lernens begünstige die nachhaltigen Denker.

Überhaupt sei der Unterricht flexibler als an staatlichen Schulen. „Wenn ich in einer neunten Klasse merke, dass es nicht weiter geht“, zum Beispiel aufgrund von Konflikten, „dann kann ich mit den Kindern auch eine Woche lang jeden Tag wandern gehen“, so Brauner, um alle auf ganz an­dere Gedanken zu bringen. „Da ist nachher keiner nicht mitgegangen“, obwohl Wandern anstrengend ist.

Überhaupt scheint ein weiterer wichtiger Unterschied zu staatlichen Schulen darin zu bestehen, dass nicht der Lehrplan das Geschehen bestimmt, sondern die Situation der Schüler. „Wir müssen den Kindern Beziehungen anbieten“, so Brauner. „Wenn ein Kind keine gelungenen Beziehungen hat, folgt Ausgrenzung und Ablehnung.“ Aggression beruhe fast nur auf psychischem Schmerz. Und die Schu­le müsse angstfrei sein. Brauner weiter: „Angst ist tödlich fürs Lernen, führt dazu, dass Synapsen im Gehirn wieder aufgelöst werden und Ge­lerntes wieder vergessen wird.“ Angst aber sei der große Fehler der „Rotstift-Pädagogik“.

Die beiden Referentinnen be­tonten aber, dass staatliche Schulen nicht durchweg schlechter als Waldorfschulen seien. Brauner: „Die Kinder haben auch ein Schicksal: welchem Lehrer sie begegnen.“ Und Dr. Schiegl ergänzte: „Es gibt bei uns mehr Freiheiten, auf die Kinder einzugehen. Aber ob die Lehrer sie nutzen, das ist das Risiko der Waldorfpädagogik.“

Ziel sei am Ende ja nicht, Verweigerer oder Anpasser zu er­ziehen. „Zur Freiheit zu er­ziehen, ist echt schwer. Es bedeutet nämlich, in der Lage zu sein, wahrzunehmen, wo im Leben meine Aufgabe ist.“ Das erfordere auf Elternseite viel Vertrauen. Vor allem dürfe es keine Doppelbödigkeit ge­ben. „Das geht natürlich nur, wenn die Eltern zuhause nicht mit der Keule stehen“, so Brauner.