Duisburgs ehemaliger Stadtdirektor Jürgen C. Brandt nahm für den erkrankten SPD-Fraktionschef Herbert Mettler Platz im Liegestuhl.
Er ist erster stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD und führt die Fraktion zur Zeit gemeinsam mit Elke Patz und Herbert Eickmanns bis Herbert Mettler wieder genesen ist.
Alter?
55
Familienstand?
Verwitwet, aber in fester und glücklicher Beziehung.
In der Partei seit...?
1971, weil man erst mit 16 in die SPD eintreten konnte. Es war eine sehr politische Zeit. Man hatte das Gefühl, die Welt ein bischen mitgestalten zu können.
Ratsherr seit...?
Ich war zehn Jahre Ratsherr von 1980 bis 1990. Dann bin ich 16 Jahre für die Stadt hauptamtlich tätig gewesen, 2009 bin ich in den Rat zurückgekehrt. Was eine ungewöhnliche Karriere ist. Aber mich interessiert Kommunalpolitik, wovon ich nicht ganz lassen kann.
Schwerpunkte Ihrer Ratstätigkeit?
Sehr viel universeller als früher. Heute versuche ich mich im Sportbereich, weil ich erlebe, wie viel bürgerschaftliches Engagement da drin steckt. Ich interessiere mich auch für den Kulturbereich und versuche in unserer Fraktion wieder das einzuführen, was es früher mal gab, aber ausgestorben ist: haushaltspolitisch Akzente zu setzen, sich mit der Systematik dieses neuen Haushaltes zu befassen und über den Tag hinaus Strategien auch finanzieller Art zu entwicklen. In diesen Haushalten steckt Technik drin, die man beherrschen muss. Sonst lässt man sich von der Verwaltung auskontern mit dem Argument. Wir haben einen Haushalt von 1,8 Milliarden - da ist immer Geld, man muss es nur finden.
Politische Vorbilder?
Mich hat am meisten Willy Brandt geprägt, weil er uns ganz normalen Menschen das Gefühl gegeben hat, wir dürften die Gesellschaft mitgestalten. Mich hat zudem die SPD-Reichstagsfraktion, die gegen das Ermächtigungsgesetz (1933, d. Red.) gestimmt hat, unglaublich beeindruckt. Sie wussten, dass sie mindestens dafür verprügelt werden. Und ich habe mich gefragt: Wie mutig können Menschen sein, trotzdem dagegen zu stimmen.
Ihr Beruf?
Ich bin heute Rechtsanwalt. Ich war zuvor auch schon Richter und Staatsanwalt.
Sie betätigen sich politisch, weil...?
... ich nicht regiert werden will und weil man die Sache selbst in die Hand nehmen muss, wenn man Ziele erreichen will.
Der schönste Ort in Duisburg ist?
Da kann ich nicht nur einen Ort benennen. Ich bin echter Duisburg-Fan. Duisburg hat unglaublich viele schöne Seiten: Der Kaiserberg, die Sechs-Seen-Platte, der alte Dorfbereich von Rheinhausen, Uettelsheimer See, aber auch Orte mitten in der Stadt.
Sie wollten im letzten Jahr selbst Oberbürgermeister werden. Haben Sie Verständnis für Herrn Sauerland in dieser Situation oder wären Sie zurückgetreten?
Bei der Antwort auf diese Frage muss man sich hüten, Besserwisserei zu betreiben. Es ist mir ein echtes Anliegen zu sagen: Mir tut die Familie von Herrn Sauerland unendlich leid. Ich habe aus eigener Erfahrung gemerkt, dass der Beruf in das Zuhause überschwappt. Aber so sehr einbezogen zu werden in den Beruf des Vaters, das muss einer Familie extrem schwerfallen. Ich will die Frage mal so beantworten: Ich habe akzeptiert, dass es so etwas wie eine politische Verantwortung gibt. Und wenn ich festgestellt hätte, dass ich die zu tragen habe, dann würde ich auch einen Rücktritt in den Blick ziehen und auch verwirklichen.
Was ich auf keinen Fall gemacht hätte, wäre, die Verantwortung anderen in die Schuhe zu schieben. Zum Beispiel die Verantwortung auf den Rat zu schieben oder zu sagen: ,Ich habe die Genehmigung nicht unterschrieben’. Er ist der Chef, auch wenn er selbst nichts falsch gemacht hat, haftet er dafür, wenn andere es gemacht haben.
Als Dezernent waren Sie - wie Herr Rabe heute - für die Sicherheit verantwortlich und kennen viele Akteure. Glauben Sie, dass bei der Loveparade leichtfertig die Sicherheit aufs Spiel gesetzt wurde?
Nein! Leichtfertig nicht. Wovon ich noch nicht überzeugt bin ist, dass der Wunsch, die Veranstaltung unbedingt zu haben, in einem vernünftigen Verhältnis zu der Möglichkeit stand, sie aus Sicherheitsgründen absagen zu müssen. Was stand für die, die für die Sicherheit verantwortlich waren, im Vordergrund: Dem Chef den Wunsch zu erfüllen, oder die ganz realistische Abschätzung: Man kann es in Duisburg machen oder nicht. Aber das Leichtfertigkeit im Spiel war, das will ich keinem unterstellen.
Ein anderes Thema: Sie müssen nach der Erkrankung von Herrn Mettler gemeinsam mit den beiden anderen Stellevertretern die Fraktion führen. Ist das schwierig?
Ja und nein. Es ist schwierig, weil uns Herbert Mettler mit seiner Erfahrung fehlt. Es ist leicht, weil die SPD-Fraktion ein diskussionsfreudiger, aber wie alle Ruhrgebiets-Fraktionen der SPD, ein im positiven Sinne sehr disziplinierter „Haufen“ ist. Auf meine Mit-Stellvertreter kann ich mich blind verlassen. Wir sind ein Team, das sich offen austauscht, da fällt auch manches deutliche Wort, aber ich habe mich auch während meiner Urlaubszeit auf die beiden verlassen können. Was wir am Telefon abgesprochen haben, lief auch.
Was erhoffen Sie sich von ihrem Duisburger Parteichef als NRW-Innenminister?
Interesse für die Kommunalpolitik. Und ich erwarte von seiner offenen und zupackenden Art, dass er das Kardinal-Thema der Kommunalpolitik, finanzielle Spielräume zu eröffnen, auch anpackt. Herr Wolf war ein Polizeiminister, auch ein Sportminister, aber das Kommunale hat ihn irgendwie nie interessiert.
Gibt es da schon Ideen, wie so etwas aussehen kann?
Ja. Ralf Jäger hat mit Hannelore Kraft - und ich durfte daran auch mitwirken - den Solidarpakt Stadtfinanzen entworfen. Das ist die Idee, bestimmten Kommunen auf eine definierte Zeit durch die NRW-Bank die Schulden abzunehmen, sie dadurch Luft holen zu lassen und ihnen dann, wenn man sieht, dass sie klug und zukunftsfähig neu investieren, nicht mehr alle Schulden zurück zu übertragen. Dadurch würde zum Beispiel Duisburg einen Spielraum bekommen, der zwischen 35 und 70 Millionen Euro liegt. Dieses Geld muss dann für die wichtigsten und zukunftsfähigsten Investitionen ausgegeben werden. Nach fünf Jahren guckt das Land, wie wir damit umgegangenen sind und entscheidet, ob wir einen Teil erlassen bekommen, oder wir die Schulden wieder ganz übernehmen müssen.
Ist das eine Art der Disziplinierung?
Nein, im Gegenteil. Es soll einen Anreiz darstellen. Von Disziplinierungen habe ich die Nase voll. Zusammen mit unserem Sparpaket würden wir auf eine Einsparsumme von 150 bis 170 Millionen kommen. Das würde dieser Stadt Luft geben.
Das hieße, das auch der Aufbau Ost übernommen würde?
Genau, aber nur für eine definierte Zeit Zins und Tilgung.
Sind wechselnde Mehrheiten im Rat ein Zukunftsmodell für die Stadt und muss man damit leben?
Es ist kein Modell - aber leider die Zukunft - weil es für die Bürger schwierig machen würde, nach fünf Jahren zu bilanzieren: Wer ist eigentlich in dieser Stadt für was verantwortlich. Es macht die Verwaltung entweder unglaublich stark oder zum Opportunisten. Aber ich bin inzwischen davon überzeugt: Das ist die Zukunft der Kommunalpolitik ohne Sperrklausel.
Sollte sie wieder eingeführt werden?
Ja. Es kann nicht sein, dass wir ein Wahlverfahren haben, bei dem eine kleine Partei ein Drittel soviel Stimmen für ein Ratsmandat braucht wie die SPD.
Wo sehen Sie noch Sparpotenzial?
Wenn wir durch eine kluge Stadtpolitik unserer Soziallasten dadurch senken, dass wir Menschen in Arbeit bringen, wenn es uns gelingt durch eine kluge Grundstückspolitik neue Arbeitsplätze nach Duisburg zu holen, dann ergibt sich Einsparung von selber. Wir haben zur Zeit 80 000
Menschen, die soziale Transferleistungen bekommen. Jedes Prozent davon, was in Arbeit kommt, stellt eine unglaubliche Entlastung für Duisburg dar. Aus einem Sportverein noch 2000 Euro herauszupressen, die Kultur noch provinzieller machen, die Straßen noch mehr verrotten zu lassen - das muss man sogar machen, wenn man unter der Kuratel des Regierungspräsidenten steht. Ein Zukunftsmodell ist das nicht.
Sehen Sie Chancen für das Sparpaket, das von Duisburg eingereicht wurde?
Jetzt wieder. Ich war sehr skeptisch, weil Herr Sauerland behauptet hat, es gäbe Zeichen, nur sein Sparpaket würde Gnade finden. Wir haben dann im Ältestenrat erfahren, was wirklich bei dem Gespräch Anfang Juli herausgekommen ist: Es gab großen Respekt, dass wir auf die gleiche Summe wie der OB gekommen sind. Und Respekt davor, dass wir den Mut gehabt haben, trotz wirtschaftlich schwerer Zeiten den Gewerbesteuersatz zu erhöhen.
Bis wann müsste eine Entscheidung kommen, damit die Stadt weiter handlungsfähig bleibt?
Gestern! Aber ich glaube, wir werden bis in den Herbst warten müssen. Aber auch da wird es keinen Genehmigung geben. Wir reden über eine Duldung. Man duldet, dass wir Geld ausgeben, man genehmigt uns das nicht.
Das versteht doch keiner...
Ja, die Stadt verhält sich eigentlich rechtswidrig und der Regierungspräsident duldet das.
Wenn Sie „König von Duisburg“ wären, was würden Sie tun?
Abdanken. Ich glaube an eine republikanische Verfassung. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte: Etwas für Kinder und Jugendliche tun, damit sie diese Stadt als ihre Stadt empfinden. Ich würde mir wünschen, die Kindergartengebühren abzuschaffen. Wir wissen, dass gerade Kinder, die in schwierigen sozialen Verhältnissen aufwachsen, diese Art von Betreuung brauchen. Es wäre ein Bekenntnis, dass wir diese Kinder und ihre Zukunft wollen.