Duisburg-Dellviertel. .
Stolpersteine erinnern an jüdische Nachbarn, die von den Nazis brutal ermordet wurden. Am Mittwoch verlegte Künstler Gunter Demnig mehrere Steine in verschiedenen Stadtteilen.
„Ihre Wohnung wurde ihnen weggenommen. Die Familie wurde gezwungen, in einem einzigen kleinen Zimmer zu leben. Die anderen vier Zimmer musste sie abgeben an weitere jüdische Familien. Alle wurden zusammengepfercht auf engstem Raum“, erzählt Nachbarin Marianne Becker, damals 15 Jahre alt.
Aber das war erst der Anfang des Grauens. Fast alle jüdischen Bewohner des Hauses Grünstraße 51 fielen dem Nazi-Terror zum Opfer. Seit gestern erinnern Messingplatten auf dem Gehweg vor dem Haus an die Ermordeten, die hier wohnten: Ernestine Windmann, Mincia Mandel, Max Moses Goldstein und Fanny Goldstein. Künstler Gunter Demnig (62) verlegte zum Gedenken vier „Stolpersteine“ bei einer anrührenden Feier, gestaltet von zehn jungen Mädchen mit Musik und selbst recherchierten Texten, die die Schrecken der Zeit ins Bewusstsein hoben.
Paten der Stolpersteine waren Marianne Becker (83), Hedi Müller (69) und Elsa Lappat (71) und die Schülerinnen der Klasse 10c des St. Hildegardis-Gymnasiums. Die zehn Gestalterinnen der Gedenk-Zeremonie übernahmen den Part auch stellvertretend für ihre 16 Mitschülerinnen, die in die Ferien gefahren waren.
„Viel Zeit und Sorgfalt“, lobt Lehrer Christoph Busch, investierten die Mädchen in die Vorbereitung der Feier. „Als wir im Geschichtsunterricht den Holocaust durchnahmen, entstand die Idee, eine Stolperstein-Patenschaft zu übernehmen.“
Da traf es sich gut, dass genau zu der Zeit Hedi Müller in der Schule im Dellviertel anrief und Mitpaten suchte für Stolpersteine vor ihrem Elternhaus. „Wir hatten in der Grünstraße 51 eine Schuhmacherei und unsere Wohnung. Ich war damals noch Kleinkind. Wir lebten im Erdgeschoss als einzige deutsche Familie.“ Ihre ältere Schwester Marianne hatte schon konkrete Erinnerungen an die Nazizeit – wie an den tränenerstickten Abschied ihrer freundlichen Nachbarin Mincia Mandel, die 1938 mit zwei Kindern nach Polen ausgewiesen und später in Bentschen umgebracht wurde.
Davon erzählte sie der 10 c im Hildegardis, nachdem der Kontakt hergestellt und der organisatorische Ablauf über den Jugendring Duisburg geregelt worden war. „Die Mädchen hatten so viele Fragen, wir blieben fast zwei Stunden und hätten noch viel länger miteinander sprechen können“, sagt Marianne Becker. „Es war ja unser großes Anliegen, das, was wir erlebt hatten und schrecklich fanden, jungen Leuten zu übermitteln.“ Ihren Beitrag leisteten die Schülerinnen, indem sie sie sich intensiv mit den Fakten des schwärzesten Kapitels deutscher Geschichte auseinandersetzten.
„Juden durften nicht in Bussen und Bahnen fahren. Sie durften kein Fahrrad besitzen. Es war ihnen verboten, öffentliche Badeanstalten zu benutzen. Es war ihnen nicht erlaubt, in den Wald zu gehen“, zitierten sie reihum aus über 2000 Verordnungen und Verboten, mit denen die Nazis jüdische Menschen im Alltag ausgrenzten und schikanierten. Auch mit tätlichen Angriffen, Enteignung und Ermordung befassten sich die Schülerinnen. 1051 jüdische Bürger Duisburgs wurden in der Nazizeit brutal umgebracht.
Nadine Kemper (16): „Als wir uns mit den Details beschäftigt haben, war das wirklich krass. Wir haben oft geschluckt, mussten das erst einmal verarbeiten. Aber das Thema war uns sehr wichtig. Wir möchten verhindern, dass so etwas noch einmal kommt.“