Im Liegestuhl nimmt diesmal der Fraktionsvorsitzende der Partei „Die Linke“ im Duisburger Rat, Hermann Dierkes, Platz. Mit ihm sprach WAZ-Redakteur Alfons Winterseel im Landschaftspark Nord.
Alter?
61
Familienstand?
Verheiratet.
In der Partei seit?
2001, zunächst in der PDS-Offene Liste. In den 90er Jahren war ich Mitglied im Duisburger Bündnis. Unsere Anfänge lagen damals in der Umweltpolitik. Ich war auch Mitbegründer der Bürgerinitiative gegen Umweltgifte.
Ratsherr seit?
1999. Durch den Fall der 5-Prozent-Hürde kamen wir mit 4,2 % in den Rat und bildeten eine Fraktion.
Was sind die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?
Wirtschaft, Stadtentwicklung und Verkehr. Das Thema Umwelt interessiert mich aber weiterhin sehr stark. Überregional sind es internationale Angelegenheiten. Über die IG-Metall habe ich gute Kontakte nach Brasilien, seit einigen Jahren auch zu linken Israelis, darunter auch zu jemandem, der aus einer Familie Holocaust-Überlebender stammt.
Ich war zuletzt im Mai in Israel und Palästina und habe dort sehr beeindruckende Erlebnisse gehabt. Ich hoffe sehr, dass es zukünftig zu einer noch stärkeren Zusammenarbeit der israelischen und der palästinensischen Friedensbewegung kommt. Da gibt es sehr hoffnungsvolle Ansätze.
Ihre politischen Vorbilder?
Ich bin Linker und habe natürlich viel von Marx, Engels, Rosa Luxemburg und Trotzki gelesen. Ein Vorbild sind für mich auch der Ökonom Ernest Mandel und Jakob Moneta, Chef der Metall-Zeitung in Frankfurt. Auch Heinz Brandt, Redakteur der Metall-Zeitung, der als KPU-Mitglied 12 Jahre im Gefängnis und im KZ gesessen hat. Von ihm habe ich viel gelernt.
Ihr Beruf?
Ab 1. August Rentner. Ich bin gelernter Verwaltungsmensch und habe erst bei der Bezirksregierung in Detmold, später bei der der Landesrentenbehörde in Düsseldorf gearbeitet. 1979 kam ich zu Eisenbahn & Häfen und arbeitete im Hafenbereich nachdem ich mein Studium abgebrochen hatte. Ich habe einen beruflichen Neustart versucht und bin da kleben geblieben. Ich bin zum Betriebsrat gewählt worden und dann wurden daraus 30 Jahre.
Sie betätigen sich politisch weil...?
... ich für soziale Gerechtigkeit bei uns und weltweit eintrete, für eine umweltgerechte Welt, die der Menschheit das Überleben erlaubt.
Der schönste Ort in Duisburg ist...?
Zuhause natürlich. Ich bin gerne auch im Mattlerbusch und im Landschaftpark oder der Rheinaue. Ich bin auch gerne in den Stadtteilen, die als sogenannte prekäre Stadtteile gelten.
Die Linke hat in den letzten Jahren an Popularität gewonnen. Wie wirkt sich das in Duisburg aus?
Ich denke, dass wir wichtige Entscheidungen haben beeinflussen können. Ich denke vor allem an die Zeit vor 2004 als es um die Frage Multi-Casa auf dem Güterbahnhofsgelände oder eine Belebung der Innenstadt ging. Für Letzteres haben wir nachhaltig gestritten. Bis es auch schließlich eine Mehrheit im Rat gab.
Aber die CDU scheint sich das doch auf ihre Fahnen zu schreiben?
Nach einem Erfolg gibt es natürlich viele Väter. Die CDU hat zunächst auch voll und mehrheitlich auf Multi Casa gesetzt. Wie bei der SPD gab es auch in der CDU damals eine Minderheit, die Bedenken gegen Multi Casa hatte. Heute würde die Entscheidung natürlich niemand revidieren. Die Ausstrahlung Duisburgs in der ganzen Region wurde verbessert und die Kaufkraft gestärkt. Wir waren ja auf 80 Punkte heruntergefallen, was die Zentralitätskennziffer betrifft, und sind jetzt wieder über 100, aber längst nicht da wo Düsseldorf oder Essen liegen mit 130 oder 150 Punkten.
Das ist natürlich sehr wichtig, um das Wirtschaftsleben anzukurbeln, weil Duisburg strukturbedingt bis heute Probleme mit sich herumschleppt. Wir haben nicht einmal 150 000 Vollzeitjobs in dieser Stadt. Das ist eine Katastrophe. Das entspricht einer Größenordnung von Städten wie Mannheim oder Bielefeld. Das ist die Hälfte von dem, was normal wäre. Das kann kommunal nicht aufgefangen werden, deswegen ist eine massive Hilfe des Landes, des Bundes und der EU notwendig. Aber das hat alles Grenzen im Rahmen der freien Marktwirtschaft.
Rot-Rot-Grün hat im Rat ein alternativen Haushalt und ein alternatives Haushaltssicherungskonzept durchgebracht. Was trägt darin die Handschrift Ihrer Partei?
Erstens: Keine weiteren Privatisierungen. Zum Beispiel wird das Klinikum nicht weiter veräußert. Wir gehen sogar noch weiter und hoffen, dass der § 107 wieder geändert wird und es mittelfristig wieder eine Gleichstellung von öffentlicher Hand und privaten Unternehmen geben wird. Langfristig bin ich der Meinung, das wesentliche Infrastrukturaufgaben per se in öffentliche Hand gehören.
Zweitens: Keine weiteren Sozialschweinereien. Wir haben verhindert, dass 18 Millionen Euro in den Bereichen Sport, Bildung und Kultur gekürzt werden.
Drittens wollen wir die Einnahmeseite verbessern und wollen, dass der Gewerbesteuer-Hebesatz um 4,3 % oder 20 Punkte angehoben wird. Da haben auch andere Kommunen schon nachgezogen.
Bei der „Bettensteuer“ haben wir dafür gesorgt, dass Übernachtungen beim Jugendherbergswerk ausgenommen werden.
Wird man mit den wechselnden Mehrheiten im Rat künftig leben müssen?
Das ist auch kein Patentrezept. Es ist schon sinnvoll in der Politik Verhältnisse anzustreben, die eine Stabilität gewährleisten. Ich möchte natürlich eine Stabilität in eine Richtung, die uns programmatisch und politisch liegt.
Wäre das Rot-Rot-Grün?
Das ist durchaus möglich in Duisburg und wir hoffen sehr, dass dieser Verständigungsprozess, der nach der Kommunalwahl begonnen hat, sich fortsetzt. Ich sehe es nach wie vor als Chance an. Ich denke, dass auch die veränderten Kräfteverhältnisse im Land diesen Prozess begünstigen.
Die Linke hat aus sich aus 2007 aus WASG und PDS gegründet. Aus welcher Linie kommen Sie?
Ich komme aus der PDS-Offene Liste. 1999 wurde sie in Duisburg gegründet. Sie bestand anfangs zum größten Teil aus parteilich nicht gebundenen Mitgliedern. Ich bin 2001 erst in die PDS gegangen. Es gab schon ein paar Stationen, an denen ich Zweifel hatte, ob das für mich die richtige Partei ist.
An welchen?
Das war insbesondere die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit und der undemokratischen Verhältnisse dort. Und die Allmacht einer Staatsbürokratie. Und als herauskam, dass aus den Finanzbeständen der SED über Millionen Euro auf dubiosen Wegen ins Ausland geschafft worden waren. Aber das war in den 90er Jahren.
Als ich gesehen habe, dass es ernsthafte Kräfte in der PDS gab, die diese Vergangenheit aufarbeiten wollten und daraus die richtigen Konsequenzen zogen, dass wir eine Politik haben wollen, die demokratisch abgesichert ist, und dass wir eine Gesellschaft wollen, die auf demokratischen Fundamenten beruht, da ist mir das wesentlich leichter gefallen.
Gibt es die beiden Lager heute noch?
Das ist ziemlich verschmolzen. Dieser Prozess ist überraschender und erfreulicher Weise gut vorangekommen. Hier am Ort spielt das praktisch überhaupt keine Rolle mehr.
Warum hat sich Ihre Fraktion nach den Geschehnissen auf der Loveparade bislang so zurückgehalten und den Oberbürgermeister noch nicht zum Rücktritt aufgefordert*? (*Das Interview wurde am Dienstag nach der Loveparade geführt, d. Red.)
Wir haben am Sonntag eine Stellungnahme abgegeben und fordern darin die umfassende Aufarbeitung, die Klarstellung der Verantwortung und gegebenenfalls politische Konsequenzen. Wir haben heute eine gemeinsame Sitzung des Kreisverbandsvorstandes und des Fraktionsvorstandes und wollen entscheiden, wie wir uns weiter positionieren*.(*Ergebnis der Sitzung war der die Forderung des Rücktritts des Oberbürgermeisters und eine Initiative zu seiner Abwahl, d. Red.)
Wenn Sie „König von Duisburg“ wären, was würden Sie ändern, wenn Sie könnten?
Ich würde einige Maßnahmen vor allem auf dem sozialen Gebiet ergreifen um mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen, wie z.B. den Sozialpass einführen und die Monarchie abschaffen. Die Verhältnisse auf der örtlichen Ebene viel stärker demokratisieren, insbesondere bei der Aufstellung des Kommunal-Haushaltes, wie es dies schon in vielen Städten der Welt unter dem Motto „Bürger- oder Beteiligungshaushalt“ gibt. Ich habe sehr gute Freunde Porto Alegre in Brasilien und habe mir diesen Bürgerbeteiligungsprozess dort sehr genau angesehen, viel dazu gelesen und für mich die Konsequenz gezogen: Das ist es! Das müssen wir erreichen. In Trippelschritten haben wir den Prozess ja schon in den Bezirken eingeführt. Da war OB Sauerland auch aufgeschlossen - bis zu einem gewissen Ausmaß natürlich. Und auch die SPD und Grünen sind dem gegenüber aufgeschlossen. Dazu gibt wohl auch eine potenzielle Ratsmehrheit, diesen Weg weiterzugehen.
Verwaltung und stadtnahe Betriebe sollten auf den Haushaltstagen nicht nur ihre Investitionsprojekte vorstellen, sondern auch Alternativen präsentieren und diese Versammlungen die Möglichkeit haben, ein Votum abzugeben. Das schafft nicht die formellen Entscheidungsgremien ab, aber die Bürger sollen merken: Ich kann etwas bewegen.