Duisburg. .

Die demografische Entwicklung zwingt zu einer Debatte über den Umgang mit dem Alter - meint Dr. Angela Löser. Diese Debatte will die Diplom-Pädagogin anstoßen. Pauschale Kritik an Pflegeheimen weist sie zurück.

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Eine Patentlösung hat auch sie nicht parat, aber dass es so nicht weiter gehen kann, dessen ist sich Dr. Angela Löser sicher. Die pauschale Kritik an Altenheimen, zuletzt von Verdi-Chef Frank Bsirske geäußert („Altenheime ähneln Flüchtlingslagern“) sowie die Geringschätzung der Leistung von Altenpflegekräften durch Außenminister Guido Westerwelle, der Arbeitslose zum Blätter fegen oder ins Altenheim schicken will, diffamiert einen Berufsstand, dessen Bedeutung bei der demografischen Entwicklung noch an Bedeutung gewinnen wird.

Löser selbst will jetzt „die großen Träger zu einer Debatte anstiften, ich sitze ja oft mit ihnen am Tisch und bin sehr motiviert“. Die Altersspirale mache ein Umdenken unabdingbar: Das Generationenbündnis gibt es nach Einschätzung von Löser nicht mehr. Und das ist das ganze Dilemma: Die „abschiebenden“ Kinder haben ein schlechtes Gewissen und lösen es, indem sie besonders kritisch mit der Heimarbeit sind und so ihr „gutes-Kind-sein“ dokumentieren. Dem gegenüber stehen die Heime, die mit ihrer Werbung Ansprüche wecken: „Wir sind mehr als ein Hotel“, zitiert Löser. „Die Rahmenbedingungen sind auf einem denkbar niedrigen Niveau, die Erwartungen aber denkbar hoch - das ist der Spagat, in dem sich die Heime bewegen“.

Pro Bewohner werde derzeit für Essen und Trinken zwischen 3,70 und 5,40 Euro berechnet. Davon soll es fünf Mahlzeiten täglich mit zwei Auswahlessen geben, vegetarische Kost, Obst, Säfte etc. Heimplätze insgesamt kosten im Schnitt zwischen 3000 und 4500 Euro. „Die reine Unterkunft im günstigsten Hotel kostet 1200 Euro im Monat“, rechnet Löser vor, „plus 600 Euro fürs Essen, dann ist aber noch kein Nachthemd gewaschen, keine soziale Betreuung, keine Begleitung, um mal vor die Tür zu kommen.“ Hotels sind also keine Alternative. Pflegekräfte aus Polen auch nicht, weil der ständige Wechsel gerade demente Kunden stresst.

Ohne Heime geht es nicht

Ohne Heime geht es also nicht. Aber hier ist eine Hinwendung zu individualisierter Betreuung nötig. Und mehr Zeit für den Menschen. Einer ihrer Dauerkritikpunkte: die Dokumentation. Löser vergleicht: Der Installateur schreibt auf, dass der Hahn tropft. Die Altenpfleger benennen das Problem (der Hahn tropft), die Ressourcen zur Lösung des Problems, die jemals hinzukommenden potenziellen Probleme, planen Maßnahmen, dokumentieren jeden Schritt. Wer das für übertrieben hält, möge einen Blick in eine Patientenmappe werfen: Ein Blatt für die tägliche direkte Pflege mit Rubriken wie Waschen, Lagern, Toilettengang, Intimpflege, Frühstück, Medikamente, ein separater Lagerungsplan, ein Plan für die Ausscheidungen, einer fürs Gewicht, einer für die Aktivitäten („Bingo, dann Messe“), das Medikamentenblatt, Trinkprotokoll, Energieprotokoll, die „Aktivitäten des täglichen Lebens“, die Pflegeplanung - wir sind noch nicht fertig - es folgen der Tagesbericht (Frau R. war eingenässt), hinten an hängt noch die Biografie und die „Bedürfniserhebung“, also die Vorlieben des Bewohners und das Wecken neuer Interessen.

Nicht alles davon muss täglich ausgefüllt werden, manches dafür stündlich, und es kostet Zeit, die für die Arbeit am Menschen fehlt. „Die Heime, die ich besuche, sind besser kontrolliert als jedes Atomkraftwerk“, sagt Löser. Dabei suggerierten die Noten, die Altenheimen vergeben werden, eine Sicherheit, die es gar nicht gebe: „Die Qualität wird nur auf dem Papier geprüft, nicht die tatsächliche Versorgung.“ Ein Bewohner in einem schlechter benoteten Heim bekomme vielleicht trotzdem seinen Salat ohne Zwiebeln, nur aufgeschrieben wurde es nicht. Kreative Lösungen sind gefragt.