Duisburg. .
Einer schrumpft, einer expandiert, einer wartet ab. Drei Einzelhändler in der City kämpfen auf unterschiedliche Arten ums Überleben. Ein Gespräch auf der Straße, eines im Laden, eines im Park.
Freitagnachmittag, Lars Hoffmann steht am Tresen seines Elektronik-Fachhandels. „Bist Du von der Eishalle?“, fragt er einen Kunden, der Flüssigkeit für eine Nebelmaschine kauft. „Nein, Therme“, antwortet der. „Ok, gibt Rabatt.“ Während er auf das Preisschild schaut und rechnet, telefoniert Hoffmann mit einem Vertrieb. Daneben steht ein Mitarbeiter und berät gleichzeitig drei Kunden. Ein Handelsvertreter lehnt neben der Kaffeekanne und wartet darauf, seine dicken Kataloge auszupacken.
Das Geschäft in der Altstadt ist voll, viele andere in der Nachbarschaft sind leer. Große Ketten haben sich verabschiedet, Einzelhändler mussten aufgeben. „Ich habe es schon gemerkt, als zum Beispiel C&A an der Münzstraße geschlossen hat“, erklärt Hoffmann, der den Familienbetrieb 2008 übernahm. „Eine große Laufkundschaft hatten wir allerdings nie. Wer zu uns kommt, sucht Dinge, die er eben nur bei uns findet.“ Oder der Kunde schaut in einen Online-Shop. „Aber die Leute haben festgestellt, dass die meisten günstigen Sachen im Internet ihr Geld nicht wert sind. Da bekommt man vielleicht einen Akku für fünf Euro, aber ich würde keine 50 Cent dafür zahlen.“ Schon lange sei niemand mehr im Laden gewesen, der mit dem Hinweis auf einen Online-Händler um einen besseren Preis gefeilscht habe. Auch viele junge Kunden würden immer öfter den direkten Weg zum Einzelhändler suchen.
Fläche vergrößert
Vor einem halben Jahr hat Lars Hoffmann die Ladenfläche vergrößert, um mehr Waren zu präsentieren. Er konnte seinen Vermieter davon überzeugen, die Wand zwischen Geschäft und Nachbarwohnung zu durchbrechen. Ein Büro ist dadurch entstanden, eine kleine Küche und viel Platz für kleine Elektronikbauteile. Zu diesem Schritt entschloss er sich mitten in der Wirtschaftskrise. „Anders hätten wir nicht überleben können. Dass die Leute die Sachen hier direkt vor sich haben und anfassen können, das ist unser Trumpf“, sagt er. „Viele wollen tatsächlich noch einen Einkauf als Erlebnis.“
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Doch nur von den Kunden im Ladenlokal könnte Lars Hoffmann nicht mehr leben. Aufträge von städtischen Einrichtungen oder aus der Wirtschaft sind ein wichtiges Standbein. Und er muss selbst aktiv werden, „Direktmarketing“ ist das Zauberwort. „Das ist doch ganz einfach, zum Beispiel als die Streikwelle war“, erzählt er. Da schrieb er Briefe an Gewerkschaften und legte ein Flugblatt seines Geschäfts bei. Inhalt: Lautsprecher, mobile Anlagen – alles, was man für eine laute Demonstration gebrauchen kann. Zahlreiche Bestellungen landeten wenig später in seiner Post.
Wer einen Blick auf die Parkplätze vor dem Laden wirft, der sieht, dass Lars Hoffmann nicht alleine kämpft. Immer wieder fahren Transporter von Firmen vor. „Wir setzen auf die Zusammenarbeit mit anderen kleinen Unternehmen, die wir mit ins Spiel bringen“, sagt der 37-Jährige. Wenn er eine Überwachungskamera verkauft, vermittelt er gleich die Installation und manchmal sogar den Sicherheitsdienst mit. „Wenn einer von denen dann einen Auftrag bekommt, denkt er auch an mich. Andere gehen dafür in den Lions-Club. Ich gehe in die Kneipe, liefere dem Inhaber einen Scheinwerfer und lerne da schon den nächsten Kunden kennen. Das ist mein Marketing.“
Samstagmittag, Boris Roskothen steht auf dem Kinderfest im Kantpark, wenige Hundert Meter von seinem Spielwarengeschäft auf dem Sonnenwall entfernt. Kinder bedienen sich am Spielzeug aus einer großen Kiste, auf den Tischen sind Brettspiele drapiert. Hier, wie auch im Laden, kann er mit den Kunden über beinahe jedes Spiel in seinem Sortiment sprechen. „Die Leute wollen Beratung“, sagt er über die größte Stärke des Einzelhandels. „Aber zahlen wollen sie dafür nicht. Das verstehen sie einfach nicht. Letztens bekam ich eine E-Mail von einer Frau, die ich lange beraten hatte“, erzählt Roskothen. Es ging um ein Spiel für 46 Euro. In der E-Mail schrieb sie, dass sie das Spiel in einem großen Supermarkt für 39 Euro gesehen hätte. Sie wollte es dennoch bei Boris Roskothen kaufen, weil ihr die Beratung so gut gefallen habe. Aber sie fragte, ob er nicht auch den Preis aus dem Supermarkt anbieten könnte. Er tat es, die Kundin kam trotzdem nicht wieder.
Viele Nachbarn schließen
Mit seinem Geschäft trotzt Boris Roskothen dem Umsatzrückgang auf dem gesamten Sonnenwall. „Eklatant“ nennt er sie, aber er bleibt. Für einige Inhaber waren die Verluste bereits zu groß, sie gaben auf. Andere Einzelhändler, die in den Ruhestand gingen, fanden keine Nachfolger. So zahlreich wie an der Münzstraße sind die Leerstände auf dem Sonnenwall nicht, doch es gibt einige Lücken. Und einige Häuser tragen mit ihren Fassaden nicht mehr zur Verschönerung der Straße bei. „Wir müssen deshalb die Immobilienbesitzer mit ins Boot holen“, fordert der Händler, dem auch ein Haus gehört. „Und Eigentum bindet.“ Jeder solle sich seiner Verantwortung den Nachbarn gegenüber bewusst werden. Boris Roskothen übernimmt an vielen Stellen Verantwortung. Er ist Vizepräsident der IHK Duisburg-Kleve-Wesel, Vorsitzender des regionalen Handelsausschusses, Vorstandsmitglied im Einzelhandelsverband, auch im City-Management – „und in noch ein paar anderen“. Nur von den Problemen seines Geschäfts spricht er nie, immer geht es um den Sonnenwall, oder gleich um die ganze Innenstadt.
Gerade haben ein Stück die Straße hinunter die Arbeiten für die „Königsgalerie“ begonnen, ein weiteres Einkaufszentrum. „Das ist gut als Gegenpol zu den beiden anderen Centern auf der Königstraße. Und wir brauchen hier Konkurrenz. Die sorgt für Laufkundschaft“, betont er. „Auch der CD-Laden nebenan ist zum Beispiel Konkurrenz. Denn wenn da ein Kunde 20 Euro ausgibt, hat er sie einfach nicht mehr in der Tasche.“ Ohne das Musikgeschäft, fürchtet Roskothen, wäre der Kunde aber vielleicht gar nicht zum Sonnenwall gekommen und hätte auch keine Blicke in die anderen Schaufenster werfen können. Wenn aber Passanten da sind, kann Boris Roskothen auf ihre „Emotionen“ setzen. „Auge und Ohr sind nicht die einzigen Sinnesorgane des Menschen. Aber die anderen können im Internet eben nicht bedient werden“, bemängelt er die Online-Konkurrenz. Diesen Vorteil möchte er nutzen, ist viel unterwegs, veranstaltet Spieleabende oder steht eben im Kantpark. Neben ihm landet ein Jonglagekegel mit sattem Bumms auf der Wiese, ein jauchzendes Kind flitzt hinterher. Die Kleinen haben Emotionen – aber nur ein paar Cent Taschengeld.
Montagmorgen, Thomas Krachel steht auf der Münzstraße vor seinem Geschäft für Outdoorbedarf. Viele Häuser um ihn herum sind leer. Ein großes Unternehmen hat seine Filiale ins „Forum“, das große Einkaufszentrum, verlegt. Ein anderes verkleinerte seine Fläche deutlich. Die meisten Einzelhändler gaben bereits auf. „Hier kommen nicht mehr als 25 Passanten pro Stunde vorbei“, klagt Krachel. „Wir leben aber von der Laufkundschaft. Deshalb haben wir ja auch den Laden oben eröffnet“, sagt er und zeigt in Richtung seiner Filiale, die neben dem „Forum“ liegt. „Aber auf der kleinen Fläche da – größer hätten wir uns das nicht leisten können – reißen wir die Verluste auch nicht raus. Der Mietvertrag hier ist schon gekündigt.“ Zwar stehen noch Gespräche mit dem Vermieter an, der ihn vom Bleiben überzeugen möchte, doch Krachel wird die Miete wohl weder zahlen können noch wollen. „Da oben bleiben wir aber ganz sicher“, betont er. „Es wäre schön, wenn wir da noch einen größeren Laden um die Ecke bekommen könnten, dann wäre der kleine nur so etwas wie ein Showroom.“ Auch das ist bisher an den Mietkosten gescheitert. Also ist das kleine Lokal wieder bis an die Decke vollgestopft, so wie im alten Laden.
Doch eines hat sich in der besseren Lage für Krachel verändert: „Ich kann dort hochwertigere Sachen anbieten. Nehmen wir mal Outdoormesser“, erklärt er. „Hier habe ich welche, die kosten höchstens 50 Euro. Und da, da verkaufe ich Ausführungen für 200, 300, sogar 400 Euro.“ Sein Geschäft versteckt sich aber nicht nur in der Spezialisten-Nische. Gegenüber von Krachels neuem Laden ist ein bekannter Trekkingausstatter mit großer Anziehungskraft. „Bei denen kostet ein guter Rucksack locker mal 180 Euro. Da müssen die Kunden schlucken. Bei uns gibt es dann richtig gute Rucksäcke für 100 Euro. Testsieger und alles.“
„Ohne den Online-Shop würde es uns nicht mehr geben.“
An dieser Stelle kann sich Krachel noch mit dem Preis von der Konkurrenz absetzen. Im Internet funktioniert das nicht. Dort würde jeder versuchen, der günstigste Anbieter zu sein. Bietet der Einzelhändler ein Zelt für 99 Euro an, führt der Preiskampf dazu, dass ein anderer es in der nächsten Woche für 95 Euro im Angebot hat. „Da kann man fast gar nichts mehr verdienen.“ Trotzdem ist er auf das Internet angewiesen. Etwa zehn Kunden bestellen pro Tag, so käme wenigstens etwas zusammen. „Ohne den Online-Shop würde es uns nicht mehr geben.“
Trotz der Möglichkeiten am neuen Standort, trotz des Internets: Thomas Krachel schmerzt der wohl unvermeidliche Weggang von der Münzstraße. „Wenn ich an meinen Schwiegervater denke… Der hat das alles hier aufgebaut. Und jetzt muss er zusehen, wie es den Bach runter geht. Aber was soll ich machen?“ Jeden Tag, wenn er zu seinem anderen Geschäft aufbricht, wird ihm die Entscheidung ein kleines Stückchen abgenommen. „Dann höre ich die Leute, so ungefähr ab dem Sonnenwall: ,Sollen wir noch runter gehen?’ ,Nein, da ist doch nichts mehr.’“
Fast nichts. Durch sieben Schaufenster an der Münzstraße ist nur das angegraute Weiß der leeren Wände zu sehen. Auf dem Sonnenwall haben vor kurzer Zeit ein neues Nagelstudio und ein Goldankauf eröffnet, vier Lokale sind noch immer frei.