Jochen Gerz realisiert sein Kunstprojekt "2-3 Straßen" in Kulturhauptstadtjahr
Einen solchen Medienauftrieb hat die Sankt-Johann-Straße in Hochfeld noch nicht gesehen. Im Mittelpunkt des Interesses steht ein 69-jähriger, sehr schlanker, unauffälliger Mann. Er besucht leere Wohnungen in Hausnummer 3. Jochen Gerz ist nicht zum ersten Mal in Duisburg. Der Künstler kennt die Stadt seit den „Akzenten” 2006, bei denen er „Tausch der Tabus” realisierte. Der Berliner, der nach langen Jahren in Paris seit 2008 in Irland lebt, gehört zu den international bekanntesten deutschen Künstlern. Seine Werke findet man allerdings nicht in Museen. Er schafft Situationen, setzt auf Kommunikation und Konfrontation. Das, woran er gerade arbeitet, wird unter dem Titel „1 Jahr” wohl in Bücherregalen landen.
Zuvor heißt es „2-3 Straßen” und wird „der Schwerpunkt” im künstlerischen Kulturhauptstadt-Programm, so Prof. Karl-Heinz Petzinka, Künstlerischer Direktor von Ruhr.2010 gestern im Rathaus. Das Projekt, das auch auf Straßen in Mülheim und Dortmund spielt, wurde in Duisburg vorgestellt, der „Pionierstadt”, die als erste mit Hilfe der Gebag 20 Wohnungen in Hochfeld zur Verfügung stellt. Denn „ganz normale Straße” hat sich Gerz für sein Projekt auserbeten, in „nicht zu unterpriviligierten Gegenden”, in denen einem allerdings der Gedanke an Sanierung kommen könne. Wie die Sant-Johann-Straße 3, die er zum Ausstellungsstück macht. Nicht durch eine Skulptur oder ein Gemälde, sondern ein Jahr lang werden hier Menschen aus aller Welt mietfrei wohnen, die sich auf Anzeigen im Netz und in Zeitungen beworben haben. Ihre Aufgabe besteht darin, Texte in Laptops zu schreiben, die archiviert werden und schließlich als „großes Manuskript der Metropole Ruhr” in Buchform erscheinen. Wer die neuen Nachbarn sein werden – von anfangs über 1400 Bewerbern waren gestern noch 220 im Rennen – ist ebenso offen wie das, was sie schreiben.
Der „Konflikt zwischen Hochkultur und Bürgerbeteiligung” treffe das „Wesen der Kulturhauptstadt”, schwärmte Petzinka gestern. „Ich bin sehr neugierig”, so Kulturdezernent Hans Janssen, der „auf viele Diskussionen” hofft.
„Ich will mit dem Kunstbegriff raus”, erläuterte Gerz. „Wie ein Bild aus dem Folkwang-Museum in eine Türkenfamilie hängen und das Türkenbild ins Folkwang-Museum.” Was er damit beabsichtigt: „Ich will Leute lehren, auf die Wirklichkeit mit dem gleichen Respekt, der gleichen Liebe und Achtung zu gucken wie auf ein Meisterwerk.” Damit wolle er „Freude und Spaß am Hier und Jetzt” wecken.
„Ein Leitprojekt der Kulturhauptstadt, das über 2010 hinaus wirkt”, sieht NRW-Kultursekretariatsleiter Dr. Christian Esch eine „bürgerschaftliche” Perspektive.