Duisburg. Ein Duisburger (36) tyrannisiert seit Monaten seine Nachbarschaft mit Beschimpfungen, Schmierereien und lauter Musik. Jetzt sprechen Betroffene.
Seit Monaten gehört die Kontrollfahrt über die beschauliche Straße in Duisburg-Buchholz zum Alltag der Polizei. Allein 16 Einsätze waren es in den vergangenen vier Wochen. Es geht um Ruhestörung, um Sachbeschädigung oder Beleidigungen. Und immer wieder handelt es sich bei dem Verantwortlichen um einen 36-jährigen Mann. Ihm gehört das mittlerweile als „Horrorhaus“ bekannte Einfamilienhaus im Duisburger Süden.
Schon beim Einbiegen in die Straße wird man von großen Schriftzügen auf dem Asphalt, auf dem Bürgersteig „begrüßt“. Hilfeschreie in Form von bunter Farbe, Botschaften an die Nachbarn, an den Oberbürgermeister Sören Link, an die Wirtschaftsbetriebe Duisburg sind überall zu lesen. Auf Garagenwänden benachbarter Häuser, auf riesigen Holzplatten, die im Vorgarten aufgestellt wurden. Und natürlich auf dem Haus selbst. „Es wird immer schlimmer“, erzählt uns eine Nachbarin. „Ich kann kaum noch schlafen, bin mittlerweile krank vor Angst und traue mich kaum noch auf die Straße.“
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Angefangen habe alles vor gut einem halben Jahr. „Seitdem habe ich keine ruhige Minute mehr“, sagt die Betroffene. Es gäbe Drohungen an einige Nachbarn wie: „Ihr sollt doch sterben“, Schreie aus dem Haus in Richtung vorbei spazierender Frauen „ihr seid alles Huren und Nutten“. Sie erzählt von den Auswirkungen auf ihre Gesundheit, berichtet von Sprachstörungen, Zittern, Schlaflosigkeit. Von purer Angst.
Haus in beschaulicher Wohngegend im Duisburger Süden: Nachbarn kennen den Bewohner seit Jahren, er ist dort aufgewachsen
Von Angst erzählte auch der Bewohner des Hauses, als er uns seine Seite der Geschichte erzählt hatte. „Alle hatten Angst, ich habe mittlerweile keine mehr“, sagte der junge Mann vor ein paar Wochen mit einem Lachen im Gesicht. Ein ironisches Lachen, das die pure Verzweiflung ausdrückte.
Dabei kennen die Nachbarn den Bewohner des Hauses seit Jahren, er sei dort aufgewachsen, sei immer als ruhiger, netter Junge bekannt gewesen. Früher habe er zusammen mit seiner damaligen Freundin das Haus liebevoll zu Weihnachten oder Halloween geschmückt. Bis alles plötzlich anders wurde. Eine Nachbarin, die anonym bleiben möchte, macht sich große Sorgen um den jungen Mann. „Er hat niemanden, ist völlig allein und leider absolut unberechenbar.“
Seine Mutter sei plötzlich weg gewesen, als er nach einem Aufenthalt in der Klinik nach Hause kam. Die Polizei habe ihn zuvor in eine psychiatrische Klinik gebracht. „Nach zwei Tagen war ich aber wieder zu Hause“, erzählte er. Hilfe habe er nicht bekommen. Im Gegenteil. Die Beschimpfungen, Schmierereien und Belästigungen gehen weiter.
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Nachts würde er laut der Anwohner seinen Garten komplett ausleuchten, habe Kameras installiert, er stelle Lautsprecher in seine Fenster und beschalle die Umgebung mit lauter Musik. Zerschlagene Flaschen liegen vor dem Haus, auf dem Gehweg. Es türmt sich Müll, es stinkt. Und überall ist Farbe. Die Wirtschaftsbetriebe Duisburg haben die Straße bereits gereinigt. Mit mäßigem Erfolg. Immerhin: Die entstandenen Kosten für die Reinigung müssen die Anwohner nicht auch noch selbst zahlen.
Laute Schläge mit dem Vorschlaghammer gegen Wände, gegen Garagentore
„Er hört einfach nicht auf“, sagt die Duisburgerin. An manchen Tagen sei er ruhiger als an anderen, aber immer unberechenbar. „Ich weiß, dass er selbst auch große Angst hat. Aber es kommt einfach niemand an ihn heran.“
Die Nachbarn erzählen von lauten Schlägen gegen die Wände, wie er mit einem Vorschlaghammer gegen seine Garagentore ballert. „Ich schrecke jedes Mal zusammen“, berichtet eine Anwohnerin. Sie habe schon Angst, überhaupt noch die Polizei zu rufen. „Es passiert ja am Ende nichts. Jedes Mal werfen uns die Beamten mitleidsvolle Blicke zu. Wohnen will hier eigentlich niemand mehr.“
„Sobald wir zu dem Haus gerufen werden und er dann die Musik bereits wieder ausgemacht hat oder nicht mehr randaliert, können wir auch nichts mehr machen“, erklärt eine Polizeisprecherin. Schon mehrfach wurde der Duisburger aus seinem Haus geholt, war mehrere Male in psychiatrischen Kliniken. Aber immer wieder das gleiche Ergebnis. Dauerhaft passiere nichts.
Einweisung nur bei „erheblicher Selbstgefährdung oder erheblicher Gefährdung anderer“ möglich
„Die Hürden für die Anwendung des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten sind in Deutschland zu Recht extrem hoch“, erklärt Stadtsprecher Sebastian Hiedels. „Möglich ist die Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung nur dann, wenn durch das krankheitsbedingte Verhalten des Betroffenen im akuten Fall eine erhebliche Selbstgefährdung oder eine erhebliche Gefährdung anderer besteht.“
Die Feststellung erfolge in der Regel durch einen Arzt des Gesundheitsamtes, der ein entsprechendes Attest ausstellt. „In eine Klinik wird die Person dann zum eigenen Schutz oder dem Schutz Dritter eingewiesen“, so der Sprecher weiter. Unmittelbar nach der Einweisung müsse die richterliche Anhörung nachgeholt werden. Oftmals werde die Person auf richterlichen Beschluss bereits am nächsten Tag wieder entlassen. „Weil die Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen.“
Nachbarn wünschen sich ein normales Leben zurück
Die Nachbarn hoffen sehr darauf, dass es „endlich jemand schafft, ihn zu überzeugen, dass er die Hilfe auch annimmt.“ Dass er Hilfe braucht, wisse er. „Er weiß nur nicht wie“, so eine Nachbarin. Sobald er wieder „total dicht ist, rastet bei ihm alles aus. Ich warte nur auf den ganz großen Knall“.