Duisburg-Dellviertel. Ein TikToker war vor Ort, als am ehemaligen St. Vincenz-Krankenhaus ein Feuer ausbrach. Er rief die Rettungskräfte – und kassierte eine Anzeige.
Es sind dramatische Szenen, die Justin Fritz der Redaktion schildert. Der junge Mann aus Neumühl war am Sonntagabend vor Ort, als im alten St. Vincenz-Hospital im Duisburger Dellviertel (wieder mal) ein Feuer ausbrach. Fritz sagt: Ohne ihn wären die beiden Obdachlosen, die später von der Feuerwehr aus dem leerstehenden Gebäude gerettet wurden, „zu 100.000 Prozent gestorben“.
Lost Place St. Vincenz-Hospital: TikToker ist regelmäßig vor Ort
Aber von vorne: Justin Fritz ist als sogenannter Urbexer bei TikTok unterwegs, besucht seit neun Jahren leer stehende Gebäude in der Region und macht vor Ort Video-Aufnahmen. Ein Hobby mit einer gehörigen Portion Nervenkitzel. „Ich liebe es, Orte zu besuchen, die sonst keiner sieht“, sagt Justin Fritz.
Zwar ist das Betreten sogenannter Lost Places in aller Regel illegal. Doch bei YouTube, Instagram und Co. finden sich immer mehr Abenteurer wie Fritz Meinecke oder Adventure Buddy, die Filme oder Fotos aus mystischen Ruinen hochladen. Bei vielen Nutzern und Fans sind solche Accounts sehr beliebt.
Urbexer aus Duisburg schildert dramatische Szenen
Auch Justin Fritz erreicht mit seinen Livestreams eine stetig wachsende Community: Dem Kanal lost_king47 folgen knapp 50.000 Fans. Viele der Follower waren auch am späten Sonntagabend online, als der 27-Jährige wieder einmal im Dellviertel unterwegs war.
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Am Telefon erzählt der Duisburger am Dienstag: Er habe gerade für seinen TikTok-Livestream am ehemaligen Vincenz-Krankenhaus gefilmt, als er plötzlich Rauch gesehen habe. „Ich hab zu meinen Kollegen gesagt, wir müssen sofort den Obdachlosen helfen.“ Denn dass sich in dem Lost Place oft Menschen ohne feste Bleibe aufhalten, das wusste Fritz genau. „Ich bin regelmäßig vor Ort und kenne einige der Obdachlosen dort persönlich. Zu Weihnachten habe ich sogar einen Baum für sie geschmückt.“
„Wir wollten weiter reingehen, aber der Qualm war zu giftig“
Am Sonntag wollte er deswegen auch sofort eingreifen, als er den Rauch entdeckt habe. „Wir wollten weiter reingehen, aber wir konnten nicht, der Qualm war schon zu giftig“, erzählt der Urbexer. „Also haben wir die Rettungskräfte verständigt.“
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Doch als die Polizei eingetroffen sei, habe es „statt eines Dankeschöns direkt eine Anzeige“ gegeben. „Und einen Platzverweis“, ärgert sich Justin Fritz. Er kann das Vorgehen der Beamten nicht verstehen. „Ich sage mal so: In den USA würdest du als Lebensretter gefeiert, aber hier bekommst du für so was keine Dankbarkeit.“
Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch
Die Behörden sehen das anders. Sobald ein Anfangsverdacht auf eine Straftat vorliege, müsse die Polizei Anzeige stellen, sonst mache sie sich selbst strafbar, stellt Polizeisprecherin Julia Tekock auf Nachfrage unserer Redaktion klar. Tatsächlich lägen auch in diesem Fall Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruch vor. Was am Ende bei der Sache herauskomme, sei Angelegenheit der Staatsanwaltschaft. „Das ist dann abhängig vom jeweiligen Einzelfall“, erklärt Tekock.
Justin Fritz kennt das Procedere. Er musste schon öfter Geldbußen zahlen, insgesamt einen niedrigen vierstelligen Betrag. Trotzdem sieht er sich hier nicht als Täter, sondern als Retter. Er ist sicher: Die beiden Menschen, die sich zum Zeitpunkt des Brandes im verlassenen Krankenhaus aufhielten, wären „elendig gestorben“, wenn er nicht reagiert hätte. „Da war ein Riesen-Aufgebot der Feuerwehr, ich war die ganze Zeit dabei und habe auch gesehen, dass eine der beiden Personen beatmet und ins Krankenhaus gebracht werden musste.“ So hatte es auch die Feuerwehr berichtet.
Fritz‘ Community ist da auf seiner Seite. Auf der Facebook-Seite unserer Redaktion bedanken sich unter dem Artikel viele Nutzer bei der Feuerwehr für ihren Einsatz. Der größte Dank aber solle ihrer Meinung nach „lost_king47 gelten“: „Hätte er nicht geschaut, ob alles beim Rechten ist, wäre es niemanden aufgefallen, dass es brennt, und es wäre Schlimmeres passiert.“
>> Gefährlich und verboten: Warum Besuche auf Lost Places kein Kavaliersdelikt sind
- Wer ein leer stehendes Gebäude aufsucht, geht ein Risiko ein: Lost Places sind oft baufällig, immer wieder kommt es zu Unfällen. So gilt auch die Ruine des St.-Barbara-Hospitals in Duisburg als lebensgefährlich.
- Polizei-Sprecherin Julia Tekock appelliert an Abenteurer, nicht nur an die eigene Sicherheit, sondern auch an die der Einsatzkräfte zu denken. „Die Rettungskräfte können ebenfalls zu Schaden kommen, wenn sie in einen Lost Place gerufen werden, um zu helfen.“
- Auch juristisch gesehen birgt das sogenannte „Urbexen“ Gefahren. Das Strafmaß reiche beim Hausfriedensbruch von der Geldbuße bis zu einem Jahr Haft, erklärt etwa der Berliner Fachanwalt für Strafrecht, Benjamin Grunst.
- Zur Erfüllung des Tatbestandes müsse für den Eindringling aber klar ersichtlich sein, dass es sich „äußerlich erkennbarerweise um ein befriedetes Besitztum“ handelt. „Oder um es verständlich zu formulieren: Hier ist ein Zaun oder eine Tür, dahinter habe ich nichts zu suchen.“