Duisburg. Von Duisburg aus navigieren Kapitäne jetzt ihre Schiffe – ohne selbst an Bord zu sein. Ein Einblick in die neue Kontrollzentrale in Ruhrort.
Deutschlands allererste Zentrale für ferngesteuerte Binnenschifffahrt haben Vertreter von Seafar, der HGK Shipping und der Reederei Deymann in Duisburg eröffnet.
Vier Arbeitsplätze hat Seafar, ein belgisches Unternehmen spezialisiert auf ferngesteuerte und sogenannte besatzungsreduzierte Schifffahrt, dafür in Ruhrort eingerichtet. Dort sitzen die Kapitäne an den Steuerknüppeln. Auf den Schiffen angebrachte Kameras übertragen in Echtzeit Bilder von Schiff und Umgebung auf die vielen Monitore, mit denen jeder Schreibtisch ausgestattet ist.
„Im Prinzip ist es für die Schiffsführer genauso wie auf dem Schiff“, erklärt Janis Bargsten, Chief Commercial Officer bei Seafar, „nur der Wind fehlt“. Neben den Kamerabildern sind auf den Bildschirmen wichtige Steuerinstrumente wie Radarsignale und Positionsmeldungen nachgebildet. Die Steuerung erfolgt über Mobilfunk.
Die Schiffsführer sehen auf den Monitoren also genau das gleiche wie in der Steuerzentrale auf dem Schiff – und das, obwohl Kapitän und Schiff über 100 Kilometer Entfernung trennen.
Oberbürgermeister Sören Link bezeichnet die Eröffnung des „Control Centers“ am Franz-Haniel-Platz als „Meilenstein für den Standort Duisburg“. Dabei steht die ferngesteuerte Schifffahrt in Duisburg noch ganz am Anfang.
Warum brauchen wir ferngesteuerte Binnenschifffahrt in Deutschland?
Bei der Eröffnung der Zentrale wird ein Thema immer wieder genannt: der Fachkräftemangel. Dem will Seafar mit seiner Technologie entgegenwirken. Die Schiffe sollen langfristig mit weniger Besatzung auskommen. Gleichzeitig erleichtere die Navigation vom Büro aus die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, so Martin Deymann, Geschäftsführer der Rederei Deymann.
Schiffsführer sind häufig zwei Wochen mit ihren Schiffen unterwegs. Die Arbeit vom Land aus ermöglicht es Müttern und Vätern, die in der Schifffahrt arbeiten, in der Nähe ihres Wohnortes zu bleiben. Das trägt auch zur Modernisierung des Berufsbilds „Kapitän“ bei. Einen „Attraktivitätsschub“, der zukünftig wieder mehr Schiffsfahrer für die Branche gewinnen soll, nennt Deymann das.
Steffen Bauer, CEO der HGK Shipping, betont außerdem, dass Klimaschutz nur mithilfe der Binnenschifffahrt gelänge. Laut Umweltbundesamt ist diese deutlich umweltverträglicher als der Gütertransport per Lkw oder Flugzeug. Somit ermögliche die Fernsteuerung „mehr Klimaschutz trotz Fachkräftemangel“, so Bauer. Denn die Technik sichere den Transport über den Wasserweg langfristig.
Wo dürfen die ferngesteuerten Schiffe in Deutschland fahren?
Seit Anfang des Jahres fahren drei ferngesteuerte Schiffe auf dem Rhein, insgesamt haben HGK Shipping und die Reederei Deymann fünf Schiffe umgerüstet. Für die Fernsteuerung benötigen die Schiffe eine Ausnahmegenehmigung. Aktuell dürfen sie auf im Bereich Niederrhein ferngesteuert werden. Für den Mittellandkanal und weitere Teile des Rheins sind bereits Anträge auf Genehmigung gestellt.
Wie sicher sind ferngesteuerte Schiffe auf dem Rhein?
Die Schiffsführer, die vom Land aus navigieren, haben bereits Jahre oder Jahrzehnte Kapitänserfahrung. Das sei laut Janis Bargsten auch besonders wichtig. Daher sollen die Kapitäne auch weiterhin Zeit an Bord verbringen, im Wechsel mit der Tätigkeit an Land. Seafar schult die Schiffsführer knapp zwei Wochen, dann dürfen sie vom Land aus steuern. Da sich die neue Zentrale in Duisburg noch im Testbetrieb befindet, navigieren derzeit drei belgische Kapitäne, die bereits Erfahrung mit dem Konzept haben, die Schiffe in Deutschland.
Neben den Kapitänen gibt es in Duisburg auch einen sogenannten „Traffic Controller“. Er überwacht im Hintergrund zusätzlich jede Schiffsbewegung. Außerdem sind alle kritischen Systeme redundant – das bedeutet, im Falle eines Ausfalls ist stets ein Ersatzsystem bereit. Laut Seafar genügt die Software „den höchsten Sicherheitsanforderungen“. Mithilfe von Feedback durch die Schiffsführer wird sie außerdem stetig verbessert.
Wichtig außerdem: Die Schiffe fahren in Deutschland weiterhin mit Vollbesatzung. Die Schiffsführer übernehmen von Duisburg aus zunächst nur einen Teil der Strecke. Das Zentrum in Ruhrort befindet sich somit in der zweiten Phase des Automatisierungsprozesses von Seafar. Der sieht so aus:
- Integration: Das Kontrollsystem wird in das Schiff eingebaut. Die Umrüstung dauert etwa zwei Wochen. Die Komponenten verbinden die Schiffe mit dem „Shore Control Center“, von dem aus sie später auch ferngesteuert werden.
- Ferngesteuerter Betrieb: Das Hinzufügen von Kameras und Software ermöglicht die Steuerung der Schiffe von Land aus – mit vollständiger oder reduzierter Besatzung.
- Vollautomatisierung: Eine KI-basierte Befehls- und Steuerungssoftware überwacht die Schiffe und übernimmt Aufgaben, Pfadverfolgung und kritische Fahrzeugfunktionen. Diese Komponenten können auf Schiffen mit bis zu 135 Metern Länge für die Binnen- und Küstennavigation integriert werden.
Der nächste Schritt für Duisburg ist der ferngesteuerte Betrieb mit reduzierter Besatzung. So ist es bereits in Belgien auf einigen Schiffen der Fall. Gegenüber dem Handelsblatt sagte Steffen Bauer, hierzulande können man in etwa fünf Jahren bei Frachtern sogar nur noch auf Fernsteuerung setzen. Man gehe es aber erst einmal langsam an – schließlich wolle man die Behörden auch nicht überfordern.