Duisburg. Warum dem „Spieltrieb“ im Theater Duisburg mit Borcherts Nachkriegsdrama eine außergewöhnliche und sehr körperliche Inszenierung gelungen ist.

Ein Mann kehrt zurück aus Krieg und Kriegsgefangenschaft. Er hinkt, friert, trägt eine Gasmaskenbrille und er hat alles verloren. In einer sich neu orientierenden Gesellschaft, die auch vergessen will, ist er mit seinen Erinnerungen ein Außenseiter. Beckmann heißt der Mensch und er ist die Hauptfigur in Wolfgangs Borcherts Stück „Draußen vor der Tür“. Der „Spieltrieb“ im Theater Duisburg hat das Nachkriegsdrama aus dem Jahr 1947 auf die Bühne gebracht.

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Die Spielfläche hoch oben im Foyer III ist praktisch leer. Lediglich durch ein paar Podeste hat Juliette van Loon (Regie und Bühne) drei Ebenen geschaffen. Das Ensemble hat sie auf vier Personen konzentriert. Neben Ferit Albayrak (Beckmann) spielen Maxi Maria Remy (Der Andere, Die Elbe), Lea Sehlke (Gott, Ein Mädchen, Frau Kramer) und Arman Marvani (Tod, Der Einbeinige, Der Oberst, Der Kabarettdirektor). Keiner von ihnen ist Schauspiel-Profi und auch Regisseurin Juliette van Loon ist Mitglied des Spieltrieb-Ensembles, in dem sich junge Menschen auf der Theaterbühne ausprobieren. Zum ersten Mal in ihrem Leben führt sie Regie.

„Draußen vor der Tür“ in Duisburg – ein kleines Theaterwunder

Gemeinsam vollbringt dieses junge Ensemble in rund 90 Minuten ein kleines Theaterwunder. Juliette van Loon hat eine sehr körperliche Inszenierung geschaffen, in der sich ihr Ensemble wie in einer Choreografie, gelegentlich auch in Tanzschritten, auf den Ebenen der Bühne bewegt. Sie kitzelt die bittere Komik aus Borcherts Text hervor und bringt sie ins Rampenlicht.

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Gott rennt im Goldanzug auf der Stelle wie in einem Hamsterrad und bekennt seine Machtlosigkeit. Der Tod ist ein Beerdigungsunternehmer im eleganten Anzug, der sich über den Bauch streicht, weil er sich an den Kriegstoten des 20. Jahrhunderts überfressen hat. Es wird überraschend viel gelacht an diesem Abend.

Wie in ein Abenteuer stürzen sich die Schauspieler auf Borcherts Text

Doch die Regisseurin beherrscht auch den Tempowechsel. Sie gibt dem Schmerz ebenso Raum wie aufkeimender Hoffnung. Wie in ein Abenteuer stürzen sich ihre vier Darstellerinnen und Darsteller auf Borcherts Text. Und man schaut ihnen gebannt bei diesem Abenteuer zu. Sie spüren seinen Nuancen nach und kosten seine Möglichkeiten aus. Gemeinsam erreichen sie eine erstaunliche Emotionalität und Dichte.

Es gibt die schrillen Momente, wenn Beckmann beim Kabarettdirektor vorspricht oder beim Oberst seine Verantwortung zurückgeben will. Doch dagegen stehen die ruhigen Szenen, wenn Lea Sehlke als „Ein Mädchen“ den Beckmann mit einer natürlich-sinnlichen Körpersprache lockt. Und wenn Maxi Maria Remy als „Der Andere“ die Hauptfigur liebevoll und geduldig zum Weiterleben animieren will, dann hofft man kurz, es möge gelingen.

Atemberaubender Balanceakt zwischen Groteske, Zerstörung, Selbstmitleid und abgrundtiefer Verzweiflung

Beckmann ist zwar nicht unzugänglich für diese Angebote zum Leben, doch seine Erinnerungen, seine Verluste und seine Einsamkeit sind letztlich immer stärker. Ferit Albayrak spielt den Beckmann mit einer großen Emotionalität und Hingabe. Ihm gelingt ein atemberaubender Balanceakt zwischen Groteske, Zerstörung, Selbstmitleid und abgrundtiefer Verzweiflung.

Seine albtraumhafte Beschreibung eines Todesxylophons aus den Knochen der Gefallenen lässt den Zuschauer erstarren. Und als er bei der Premiere ausgerechnet hier einen Versprecher hat, spielt er weiter wie ein routinierter Schauspiel-Profi.

Nach einem kurzen Moment der Stille verdiente Ovationen

Erst nach einem kurzen Moment der Stille löst sich beim Publikum die Spannung in verdiente Ovationen an Regie und Ensemble.

Die nächsten Termine: 9., 17. und 25. Januar jeweils 19:30 Uhr. Tickets und Termine gibt es online auf www.theater-duisburg.de.

>> BORCHERTS STÜCK WURDE ZUNÄCHST ALS HÖRSPIEL PRODUZIERT

  • Wolfgang Borchert (1921 – 1947) hat das Stück, „das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“ – so sein Untertitel – im Herbst und Winter 1946/1947 geschrieben.
  • Das oft als letzter Nachhall des Expressionismus bezeichnete Stück wurde im Februar 1947 zunächst als Hörspiel produziert.
  • Einen Tag vor der Theaterpremiere am 21. November 1947 in Hamburg starb Borchert.
  • Zuvor hatte er nur wenig veröffentlicht und unter anderem als Schauspieler und Autor für ein Kabarett gearbeitet.
  • Als Soldat wurde er mehrfach wegen Wehrkraftzersetzung verhaftet und zu Gefängnis verurteilt.