Jan Philipp Reemtsma, Joachim Kersten und Bernd Rauschenbach lasen Arno Schmidts "Kühe in Halbtrauer".

Wie wäre es mit einer handfesten intellektuellen Ferkelei in der Lüneburger Heide? Dafür garantiert Arno Schmidt (1914 bis 1979), der seine letzten Lebensjahrzehnte in jener norddeutschen Landschaft verbrachte, die ihn in ihrer Kargheit zu inspirieren schien. „Kühe in Halbtrauer” lautet der Titel seiner 1964 erschienenen Erzählung.

Mit Jan Philipp Reemtsma, Gründer der Arno-Schmidt-Stiftung, sowie Joachim Kersten und Bernd Rauschenbach hatte der Verein für Literatur und Kunst jetzt drei hundertprozentige Arno-Schmidt-Fans in die Stadtbibliothek eingeladen. Dabei dürften alle, die Arno Schmidt für einen seltsamen Kauz halten, der in der deutschen Nachkriegsliteratur höchst umstritten ist, vom großen Publikumszuspruch überrascht gewesen sein. Denn die von Bibliotheksdirektor Dr. Jan-Pieter Barbian zuvor als „subversiv” bezeichneten Texte, die die „Grenzen des Gewohnten” sprengen, hatten nie das Zeug zu Bestsellern.

Das Trio Reemtsma, Kersten und Rauschenbach, dank der Vermittlung des Duisburger Schmidt-Experten und Sammlers Klaus T. Hofmann mit einer Gratis-Lesung für die Bibliothek und den finanziell klammen Verein für Literatur und Kunst gekommen, präsentierte mit viel Freude und angemessener Betonung die „Kühe in Halbtrauer”. Eine Geschichte von Freunden, die sich in der Lüneburger Heide in einem Landhaus treffen und sich als Akteure einer nervtötenden Ereignislosigkeit scharfsinnigen Bosheiten hingeben. So etwa im skurrilen ländlichen Kammerspiel „Kundisches Geschirr”, in dem ein intellektueller Frühaufsteher der studierten Psychiaterin Fräulein Seidel, offenbar einer Ausgeburt an Hässlichkeit, bei der Morgentoilette zusehen darf. Zum wenig appetitlichen Entfernen ihrer Hornhaut an den Fersen benutzt sie eine Spezialschere aus Kunde bei Dresden, vor dem Krieg auch als „Kundisches Geschirr” bekannt.

Es entsteht eine Situation beklemmender Erotik, wie nur Arno Schmidt sie in seiner typischen Stilistik erfinden und beschreiben kann. Auch der Titel von Fräulein Seidels Dissertation kann eigentlich nur von Schmidt stammen: „Das unbewusste Abbilden von Leibreizen in der Literatur”. Viel Beifall.