Duisburg. Muss die Duisburger Stadtgeschichte nach überraschenden Funden in der Innenstadt neu geschrieben werden? Genauer Blick auf das Mittelalter.
Wie eine Stadt ihre Geschichte erzählt, das ist nicht in Stein gemeißelt. Neue Erkenntnisse können alte Sichtweisen über den Haufen werfen. Duisburg steht womöglich vor einem solchen Einschnitt. Das wird man in drei bis vier Jahren wissen. Bis dahin machen sich drei Forscherinnen und ein Forscher daran, sich einen neuen Überblick über Duisburg im Mittelalter (500 bis 1500) zu verschaffen.
Bisher lautete die Erzählung ungefähr so: Nirgendwo am Niederrhein war es ohne Brücke so gut möglich, den Rhein zu überqueren. Deshalb hat sich Duisburg nicht nur als zeitweiser Aufenthaltsort (Pfalz) der fränkischen Könige etabliert, sondern vor allem als Hafen- und Handelsstadt. Als der Rhein schon um das Jahr 1000 herum sein Hauptbett mal wieder verlegt hat, war die Stadt bald davon abgeschnitten und sank zur unbedeutenden Landstadt herab. Erst im 19. Jahrhundert setzte dann mit der Epoche von Bergbau und Hüttenindustrie ein rasanter Aufstieg ein.
Archäologische Untersuchungen in der Duisburger Stadtmitte mit unzähligen Funden
Es sind weniger Historiker (sie werten Geschriebenes aus), die diese Erzählung hinterfragen, sondern vielmehr Archäologen (sie werten Hinterlassenschaften im Erdreich aus). Anlass liefern ihnen die großen Ausgrabungen in den vergangenen zwölf Jahren in der Stadtmitte.
Genau untersucht wurden das Mercator-Karree zwischen Steinscher Gasse und Beekstraße, das verschiedentlich bebaut werden sollte. Aber ebenso auch das Gelände des Stadtfensters (Stadtbibliothek, Volkshochschule), Steinsche Gasse/Ecke Universitätsstraße. Noch nicht abgeschlossen sind die Untersuchungen im Mercator-Quartier, dem früheren Schulgelände gegenüber von Rathaus und Salvatorkirche. Alle Flächen haben innerhalb der Stadtmauer gelegen.
Dabei sind unzählige Funde, vom Knopf bis zum Mauerrest, zutage getreten. Stadtarchäologe Dr. Kai Thomas Platz hat Prof. Dr. Ulrich Müller von der Universität Kiel dafür gewinnen können, die Funde auszuwerten und, wo es möglich ist, in einen zeitlichen Zusammenhang zu stellen, der sich über das gesamte Mittelalter und darüber hinaus erstreckt. Die staatliche Deutsche Forschungs-Gemeinschaft (DFG) in Bonn unterstützt das mit fast 900.000 Euro. „Eine ungewöhnlich hohe Förderung“, sagt der Professor.
Damit können Sophie Rykena, Karina Schnakenberg und Johannes Reller drei Jahre lang ihre Doktorarbeiten darüber verfassen. Am Projekt arbeitet auch Dr. Maxi Maria Platz von der Ruhr-Universität Bochum mit.
Der unbekannte Hauptsitz des Merowingerkönigs Chlodio
Lassen sich Anhaltspunkte finden, dass das Römerlager Asciburgium bei Bergheim gar nicht um 70 n. Chr. schlagartig seine Bedeutung verlor, indem es vom Rhein abgeschnitten wurde? Gibt es vielmehr Anzeichen dafür, dass es eine Entwicklung von dort bis zu jenem Hauptsitz Dispargum des Merowingerkönigs Chlodio (um 440) gibt, der in Duisburg gelegen haben könnte? Und vielleicht auch zu dem bisher nicht entdeckten Handelsplatz der Friesen?
Hat die von 1000 bis 1200 stark genutzte Duisburger Königspfalz vor diesem Hintergrund eine ganz andere Bedeutung als bisher angenommen? Warum ist der Ort überhaupt zur Königspfalz ausgebaut worden? War Duisburg womöglich Ausgangspunkt für die Entstehung des Fränkischen Reichs? Was hat es zu bedeuten, dass die Kapelle dieser Pfalz, der Vorläufer der Salvatorkirche, dem Erlöser selbst, Salvator, also Christus, geweiht war?
Hat es die Rheinverlagerung, durch die die Altstadt von der Lage am Rheinufer abgeschnitten wurde, doch erst viel später, als bisher angenommen, gegeben? Also nicht um 1000, sondern erst 200 bis 300 Jahre später? Dadurch wurde Duisburg angeblich vom Rheinhandel abgeschnitten und ist verarmt, weil es nur noch für leichte Schiffe erreichbar war. Wie ist es dann zu erklären, dass die Duisburger noch selbst nach 1300 das Geld dafür aufgebracht haben, die Salvatorkirche groß auszubauen? Wie passt es damit zusammen, dass der Stadtplan des Johannes Corputius von 1566 normal große Handelsschiffe vor dem Schwanentor verzeichnet? Und wie sind die hohen Ausgaben für Kaimauern in Duisburger Stadtrechnungen jener Zeit zu erklären?
War es vielleicht gar nicht so, dass der Aufschwung von Eisen und Stahl wie eine glückliche Fügung über Duisburg hereinbrach, sondern vielmehr auf einer Tradition aufbauen konnte, die sich das ganze Mittelalter über entwickelt hat? „Kohle und Stahl haben auf etwas aufgebaut“, ist sich der Professor aus Kiel sicher.
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Bei ihren Forschungen wollen die Archäologen nicht nur modernste Computertechnik (dreidimensionale Modelle) einsetzen, sondern sich auch auf naturwissenschaftliche Auswertungen (von Bohrungen und Pollenproben) stützen.
>>Das sind die Schwerpunkte der Forschenden
- Doktorand Johannes Reller wird sich in seiner Dissertation mit der Frage nach dem frühmittelalterlichen Königshof des Chlodio, Dispargum, sowie der Kontinuität von der Spätantike bis ins Hohe Mittelalter beschäftigen.
- Doktorandin Sophie Rykena erforscht die Duisburger Kaiserpfalz. Dabei geht sie der Frage der Genese der Pfalz zur mittelalterlichen Stadt nach.
- Doktorandin Karina Schnakenberg untersucht die spätmittelalterliche Hanse- und freie Reichsstadt Duisburg. Ein besonderen Blick legt sie dabei auf den vermeintlichen Niedergang zur Ackerbürgerstadt.
- Projektleiterin Dr. Maxi Maria Platz weitet in ihrer Arbeit den Untersuchungsraum auf das westliche Ruhrgebiet aus und stellt die Frage nach den Ursprüngen der Industrialisierung. Welche Voraussetzungen gab es in der Region, die die Wirtschaft so schnell und erfolgreich wachsen ließen?